"Ich bin hier der Spinner"

Münchner Manager entwickelte neue Formen der Kooperation - Blick ins "Legoland" des Siemens-Konzerns

Uwe Mauch

Für Führungskräfte sein Wirtschaft nicht viel mehr als Gewinnmaximierung. Anstatt über Bedürfnisse der Kunden nachzudenken, reden sie lieber über Sachzwänge. Wenn Helmut Volkmann über seine Chefs, seine Firma und globale Wirtschaftszusammenhänge philosophiert, könnte man ihn irrtümlich für einen ultralinken Betriebsrat halten.

"Wir haben uns viel zuwenig gefragt, welche Information der Daten-Highway befördern soll" - Manager Helmut Volkmann.

Doch mit herkömmlichen politischen Kategorien ist dem freundlichen Herrn im dunklen Zweireiher nicht beizukommen. Auf seiner Visitenkarte steht: Direktor der Zentralabteilung für Forschung und Entwicklung.

Helmut Volkmann erarbeitet für seine Firma, Siemens, den sechstgrößten Elektronikkonzern der Welt, richtungsweisende Konzepte. Im Orwell-Jahr 1984 erhielt der damals 50jährige ein durchaus moralisches Angebot. Seine einzige Aufgabe seither: herausfinden, wohin sich die Informationsgesellschaft bewegt und welchen Part seine Firma übernehmen könnte.

"Ich bin hier der Spinner vom Dienst", sagt der weißhaarige Manager in seinem Büro, dem Atelier für Innovatoren. Das kleine Atelier liegt im siebten Stock des Legolands (so nennen Siemens-Mitarbeiter ihr weiß und rot angefärbeltes Forschungszentrum am Stadtrand von München).

Zwischen Skizzen und Kinderzeichnungen hängt auch ein viermal zwei Meter großes Wandbild. Das Bild gibt schon jetzt den Blick auf die Zukunft frei - zu sehen ist eine lichtdurchflutete Fabrikshalle, die von oben einem realen Stadtteil gleicht.

"Das ist die Stätte des Wissens", erläutert der Vordenker (siehe Kasten). Hie sollen die Mitarbeiter von morgen ihre Ideen entwickeln - und umsetzen." Hat einer eine Vision, werde er deshalb nicht zum Arzt befohlen.

Volkmanns Visionen werden allmählich ernst genommen. Auf Computer- und Büro-Messen war er bereits mehrmals das Aushängeschild seiner Firma. Der bisherige Image-Gewinn habe seine Kosten längst wieder eingespielt. Vom Vorstand wurde ihm bereits signalisiert, daß bei Siemens spätestens zur Jahrtausendwende, also in vier Jahren, die erste Stätte des Wissens in Betrieb gehen soll.

(Bild)

Noch ist seine "Stätte des Wissens" nur ein Modell, in vier Jahren soll sie Siemens-Realität werden

"Stätte des Wissens": Arbeitsplatz ohne Chefetage

Noch ist die Städte des Wissens nur ein Pappmodell - im Atelier des Siemens-Zukunftsforschers Volkmann. Entwickelt hat er sie aus einer Notwendigkeit heraus.

"Wir haben lange Zeit nur über die technische Machbarkeit der Datennetze nachgedacht, zu wenig darüber, welche Inhalte sie eigentlich transportieren sollen - und wie sie die Bürowelt verändern werden."

Wichtig sei auch weiterhin die menschliche Begegnung, das Gespräch. Dafür hat Volkmann in seinem Modell ausreichend Platz geschaffen - in den Wissensparks. Chefetagen sucht man vergeblich. Der Platz für die Direktoren liegt mitten in der "Stadt", in unmittelbarer Nähe zu den Forschungslabors.

Verhindert werden soll damit, daß Experten umsonst wertvolle Konzepte entwickeln, während Entscheidungen zur gleichen Zeit ganz woanders fallen.

Volkmann könnte sich die Einrichtung einer Wissenstätte neben München oder Berlin auch Wien vorstellen: "Ihr habt doch einige aufgelassene Industriegelände am Stadtrand. Die wären dafür ideal."

Wiener Kurier 9. Juli 1996



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