Mit Blauklötzen aus der Krise

Freidenker mit Festanstellung sinnt über neue Wege in die Zukunft nach

Im Gespräch ... mit Helmut Volkmann über seine visionäre Denkarbeit bei Siemens

Dr. Helmut Volkmann läßt sich an seinem Schreibtisch nieder - und denkt. Das kann Stunden so gehen, ja manchmal Tage und Wochen. Fast ohne Pause. "Ich habe zwei Schreibblöcke in Gebrauch". Auf den einen malt er abstrakte Bildchen, der andere füllt sich mit Notizen. Von Zeit zu Zeit schwingt der Denker im Drehsessel herum. Sein Blick wandert über die Bücherreihen des kleinen Büros. Und mit dem Blick schweifen die Gedanken. Aus der Tabakspfeife steigen kleine Wölkchen auf. So geht das Denken bei Dr. Volkmann. Und so geht das nun schon zehn Jahre. Denn denken ist sein Beruf.

Der Mann ist nicht etwa Philosoph mit einem Lehrauftrag, einer Schwäche für Sartre und Sokrates und einem langmütigen Verleger. Der Mann ist Abteilungsdirektor bei Siemens und einzig zu dem Zweck installiert nachzudenken. Und zwar in jede erdenkliche Richtung. Ohne Vorgabe.

Der Mann sitzt hoch oben in den bunten Bauklötzen, die Siemens in Neuperlach sieben Etagen hoch aufgetürmt hat. Und der Mann sitzt inmitten bunter Bauklötze, Computer und grafischer Schaubilder und erklärt, woran die Welt krankt: Zum Beispiel am Elend der Besprechungszimmer, wo Entscheidungsträger nichts mehr wagen, wo sich der Erfindungsreichtum im Abwimmeln neuer Ideen erschöpfe.

Weiterwursteln wie bisher geht nicht mehr, so Volkmann. Die traditionellen Werkzeuge und Methoden haben ausgespielt. Die gegenwärtige Krise sei aus einem anderen, aus sperrigem Holz. Es gehe nicht mehr um ein bißchen Konjunkturflaute, die mit etwas Geduld und Verzicht schon wieder vergehen werde. Wir haben eine tiefgreifende Strukturkrise." Und die lasse sich mit den alten Hausmittelchen nicht mehr heilen.

Helmut Volkmann stellt der großen Herausforderung seine Bauklötze entgegen. Aus ihnen komponierte er sein Modell-Städtchen Xenia", die Stadt des Wissens. Den verschiedenen Stadtvierteln sind spezielle Aufgaben zugedacht, da ist das Lernen zu Hause, die Kultur, Information, Innovation und etliches mehr. Aber kein Zentrum, kein Hochhaus das alle überragt und beherrscht. Sinn der Übung: In einem Modell wie diesem sollen sich die Leute an eine Leistungs-Kooperation herantasten, die besser für die Bewältigung der anstehenden Probleme geeignet sei als die bisherige Methodik. Volkmann geht nicht nur Chefsessel und Vorstandsstühle an, sondern auch die vielen anderen in dieser Gesellschaft, die im Geiste bornierter Besitzstands-Verteidigung den Niedergang beschleunigen: Wir sind Weltmeister im Erfinden, warum etwas nicht geht. Das müssen wir überwinden."

Erste Überwindung: Wünsche so naiv und offen formulieren wie die Kinder. Zweite Überwindung: Öffnen für neue Wege (Wissensstadt) zur Klärung der Frage: Wie können wir das hinkriegen. Denn daß sich eine neue Epoche ankündigt, steht für Volkmann außer Zweifel. Er meint es durchaus ernst, daß seine Wissensstadt vielleicht einmal zu einem Siemens-Exportschlager werden könne.

Sein großmächtiger Vorstand läßt ihn nun schon zehn Jahre bei erfreulichen Bezügen gewähren. Dies womöglich umso mehr, seit der Tourismus zu den Denklabors des Dr. Volkmann zur Flut angeschwollen ist, seit sein Mikro-Kosmos zur Erbrütung neuer fruchtbarer Gedanken im letzten Jahr auf der Computer-Messe Cebit Furore gemacht hat.

Der Freidenker vom Dienst fordert viel. Wir sollen glauben, daß er richtig gedacht hat. Daß er die richtigen Schlüsse daraus zieht. Daß er den richtigen Weg weist. Tut er es? Meint er es überhaupt ernst? Oder ist der Mann mit dem ausgesuchten Volkabular, der gediegenen Verbindlichkeit und der konservativen Kleidung nur ein Schalk in Schale? Zweifelsfrei ist: Dr. Helmut Volkmann ist Kaufmann und Ingenieur. Mit 17 als Lehrling bei Siemens eingetreten. 40 Jahre dabei und noch immer neugierig.

Die Krise fördert sein Geschäft, schließt die Leute auf. Der Denker gibt zu denken.

Eberhard Geiger

Münchner Merkur 1./2. Juni 1996



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