Hausmitteilung Betr.: Ganz, Siemens

Niemals, beteuerte der Schauspieler Bruno Ganz bei seinem ersten SPIEGEL-Gespräch im November 1986, werde er die Rolle des Faust übernehmen, schon weil er sich "einfach nicht vorstellen" könne, "acht Monate lang en suite" mit diesem Part auf der Bühne zu stehen. Nun will er den Faust doch spielen, und in den Münchner Kammerspielen hat Ganz noch eine andere Rolle angenommen, die ihm Beschwerden machen könnte: die des Odysseus in "Ithaka", dem neuen Drama des Botho Strauß. Das Strauß-Stück hat offenkundig eine innere Beziehung zu dem heftig umstrittenen Essay vom "Anschwellenden Bocksgesang" (SPIEGEL 6/1993) - und es erzählt anspielungsreich von den mächtigen Fremden in einem von Überfremdung bedrohten Land, in das der Irrfahrer Odysseus heimkehrt. Der Schauspieler Helmut Griem, der ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen war, hatte abgelehnt - aus politischem Unbehagen am Text. Bruno Ganz - der zwei Wochen vor der Verleihung des Iffland-Rings, der bedeutendsten Auszeichnung für deutschsprachige Schauspieler, mit Anke Dürr und Wolfgang Höbel ein SPIEGEL-Gespräch führte - sprang unerschrocken für Griem ein. Mit Aufregung ist fest zu rechnen: "Wer den "Bocksgesang" gelesen hat", sagt Ganz, "wird in "Ithaka" einiges wiedererkennen".

Im SPIEGEL-Gespräch, das er mit den Redakteuren Dinah Deckstein und Gabor Steingart führte, hielt sich der Siemens-Chef Heinrich von Pierer diplomatisch zurück. "Ich habe nichts gegen Leute", so der Konzernchef, als die Rede auf den hauseigenen Querdenker Helmut Volkmann kam, "die provozieren." SPIEGEL-Redakteurin Michaela Schießl sah sich diesen Provokateur genau an und mochte es zunächst kaum glauben: Seit zehn Jahren erlaubt der Industriegigant Siemens einem wohldotierten Mitarbeiter, ohne Kontrolle oder Gängeleien darüber nachzusinnen, wohin es läuft mit der Welt im allgemeinen und wie es dabei wohl um die Firma stehen könnte. Mit seiner Führungsspitze geht Volkmann bislang nicht zimperlich um, und Unabhängigkeit demonstriert er auch in seinem Arbeitsfeld. Statt ins Büro wurde Kollegin Schießl in sein "Atelier für Innovatoren" geführt, eine Art Bastelstube, die vollgestopft ist mit Bildschirmen, Kinderzeichnungen, Wandtafeln und Pappmodellen.

"Ich bin hier der Spinner vom Dienst", bespöttelt sich Volkmann, und Schießl wunderte sich dann auch nicht mehr über eine sonderbare Landkarte, an der ihr der "Aufbruch zum Kontinent der Lösungen" erklärt wurde. Der Mann, das ist klar, hat es nicht leicht mit seiner Aufgabe, für Siemens den Geist der Zukunft aufzuspüren - doch er hält durch: "Denken Sie", so gab er der SPIEGEL-Frau mit auf den Weg, "immer an die Chaos-Chance".

DER SPIEGEL 20/1996



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