Das letzte Experiment |
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Information und Transparenz - das sind auch die Themen des Siemens-Denkerns
Helmut Volkmann. Anfang der 80er Jahre hat er sich bewußt
gemacht, daß die angestrebte Informationsgesellschaft mehr
ist als Industriegesellschaft plus Informationstechnik. "Seither
suche ich nach einem Defizit, das zum Gleichheitszeichen fehlt."
Daß es vor allem an Orientierung mangelt, war ihm schon
vorher klar. Wie weit aber der Wahnsinn einer orientierungslosen
Gesellschaft geht, hat ihm der Golfkrieg bewiesen: "Da zahlen
wir Steuern und finanzieren damit die Rüstung. Dann exportieren
wir diese Rüstung und müssen anschließend unsere
oder andere Jungs schicken, um das Zeug aus der Welt zu schaffen,
was auch noch Menschenleben kostet. Und dann werden noch einmal
Steuern erhöht, um die Beseitigung zu zahlen."
Verkauft wird dieses Verlustgeschäft unter dem Deckmantel
Wachstum und technischer Fortschritt - womit sich Wirtschaft und
Politik selbst ab absurdum führen. Denn ein Fortschritt,
der geradewegs auf Selbstzerstörung, zumindest auf nachhaltige
Selbstschädigung zielt, scheint Volkmann als Antriebskraft
der Gesellschaft nicht recht zu taugen.
Mit Anleihen aus der Biologie, wo als Fortschritt gilt, wenn sich
eine Art zu komplexeren Formen entwickelt und dadurch Lebensraum
und Gestaltungsmöflichkeit erweitert, hat Volkmann einen
neuen Fortschrittsbegriff definiert, der die Begeisterung über
treffsichere Raketen und den Verkauf eines Panzers an den hungernden
Sudan nicht einschließt. Danach soll Fortschritt sein, "wenn
wir unsere Natur erhalten, die Komplexität der Gesellschaft
beherrschen und dem einzelnen sinnvoll wachsenden Handlungsspielraum
geben, den er wiederum sinnvoll nutzt."
Wie die abstrakte Formel in politische und wirtschaftliche Tat
umzusetzen sei? Volmann hat da keine Mühe. Denn er hat aufgehört,
nur zu denken, was machbar scheint, und so Zentimeter um Zentimeter
in die Zukunft zu kriechen - er denkt darüber nach, was ietwa
in 20 Jahren wünschenswert wäre, und ragt sich dann,
was uns vom Wunschzustand noch trennt.
So hat er beispielsweise darüber nachgedacht, wie die Gesellschaft
zu mehr Wahlmöglichkeiten kommen könnte - und einen
einfachen Weg gefunden: An die alljährliche Steuererklärung
könnte ein Fragebogen angehängt werden, auf dem der
Bürger einträgt, wie er seine symbolische Steuermark
verteilen würde. "Und wenn dann die Politiker sehen,
daß die Bürger Jahr für Jahr kaum 20 Pfennig für
die Friedenssicherung und keinen für den Krieg ausgeben wollen",
sagte Volkmann, "wüßten unsere Repräsentanten
besser als heute, wofür sie gewählt sind."
Das nennt Volkmann "Wagnis-Ideen" - und davon hat er
eine ganze Menge. Dem Konsumentn zum Beispiel würde er durch
eine Doppelbepreisung neue Wahlmöglichkeiten einräumen:
Auf jedem Produkt sollte der Marktpreis stehen und der ökologische
Preis, also das, was das Produkt die Gesellschaft kostet. Und
wenn dann etwa ein Waschmittel fünf Mark kostet und gesellschaftlich
acht, das andere drei, aber gesellschaftlich zwölf Mark -
dann hätte der einzelne eine echte Chance zur Entscheidung
und vielleicht auch den Wunsch zu erfahren, woher die große
Differenz kommt.
Wenn allein die Kreativität, die in neue Waffen fließt,
in Wagnis-Ideen umgesetzt würde - Volkmann wäre um die
Zukunft nicht bange. Und er hofft, daß der Golfkrieg, der
keiner Kosten-Nutzen-Analyse standhalten wird, die eingefahrene
Logik in Frage stellt. Statt Rüstung zu fördern mit
dem Argument, die Milliarden kämen in Form von Spin-offs
auch dem privaten Konsumeten zugute, schlägt er eine Drehung
vor: "Wir fördern Umwelttechnik und die Schaffung von
sozialen und informationalen Infrastrukturen - und die Spin-offs,
die sich dabei ergeben, dürfen auch die Militärs mitverwenden."
Manager Magazin 3/91 |