C hancen denken lernen

Entfaltung von Innovativität auf dem Wege zur Informationsgesellschaft


Helmut Volkmann, München

Wir müssen die potentiellen Interessenten dort abholen, wo sie sich befinden, aber dort hin-

bringen, wo sie gebraucht werden, wozu sie ge-

fordert werden müssen.

1. Start: Was ist los? Was ist geschehen?

Die Wettbewerbsfähigkeit ist gefährdet

Es gibt viele, fast zu viele Anleitungen zur erfolgreichen Produktinnovation und auch für die Gestaltung des dazu notwendigen Vorlaufs der Produktplanung, aber es scheint auch eine gesicherte Tatsache zu sein, daß von 100 Anfangsideen im Schnitt nur einige wenige - 2 bis 5 % - zur erfolgversprechenden Verwendung und Vermarktung kommen. Zunächst ist es nur eine Feststellung, aber wie ist sie zu bewerten? Setzen sich in diesem evolutionären Prozeß wirklich alle Erfolgskandidaten durch und werden die nur scheinbar guten und ansprechenden Ideen gekonnt und systematisch ausgefiltert? Oder bleiben Chancen - verbunden auch mit entsprechenden Enttäuschungen - auf der Strecke? Werden sogar nur die xBesten in einem Geflecht von Beziehungen, gar Intrigen, durchkommen? Wir wissen es nicht, können es zumindest nicht beweisen, ahnen aber, daß bei einer Erfolgsquote von 5 % irgend etwas nicht stimmen kann.

Erschwerend kommt in vielen großen Organisationen hinzu, daß angesichts des Kostendrucks im internationalen Wettbewerb die Produktivität in Form der Lean-Bewegung einen höheren Stellenwert hat, sogar haben muß, als die Kreativität und Innovativität, von der wir erst langfristig profitieren. Ist diese Priorisierung aber wirklich wohl überlegt? Auch das wissen wir nicht, zumindest läßt sich nicht das Gegenteil beweisen.

Bekannt ist jedoch - und darauf hat der scheidende Präsident des Bundespatentamtes immer wieder hingewiesen - daß sich die Position Deutschlands in der Patent- und Lizenzbilanz nicht zufriedenstellend entwickelt.

Entscheidend sind jetzt gar nicht die mehr oder weniger exakt feststellbaren Quantitäten aus der Analyse, sondern die Bewertung der Qualität der Konstellationen. Das Urteil kann nur sein: Wir sind nicht gut genug. Die Meßlatte dieser Bewertung werden Vertreter einzelner Interessenlagen unterschiedlich definieren und unterschiedlich hoch anlegen.

Denn wenn bei aller Heterogenität der Orientierungen - gesellschaftlich, wirtschaftlich und technisch; in den Unternehmen und den Institutionen, wenn auch teilweise in Konkurrenz oder im Konflikt miteinander - das Urteil "nicht gut genug" zutrifft, dann ist es Zeit für gemeinsames Handeln.

Wenn das erkannt wird, dann sind zwar noch keine Probleme gelöst, und der Wandel der Gesellschaft wird auch auf allen Ebenen mit Opfern verbunden sein, aber es werden Zugänge zu Problemlösungen durch gemeinsame Anstrengungen erleichtert, und es steigen die Chancen, die notwendigen Opfer zu minimieren.

Die dazu notwendige Art des Umgang will allerdings gelernt sein: Wir brauchen eine erweiterte, wenn nicht gar neue Informations- und Innovationskultur.

Der Kontext ist - egal ob bezüglich der Bewertung einzelner Konstellationen Konsens oder Dissens besteht - für alle Beteiligten ähnlich und von hoher Komplexität. Den Fokus setzt jeder anders.

Die mögliche und notwendige Kooperation bedarf daher keinerlei altruistischer Motivationen, sondern wäre durch interessenbestimmtes Wollen gemeinsam gestaltbar.

Das Problem liegt daher weniger in Gründen wie Konkurrenz und Konflikt, Konsens oder Dissens, in Differenzen von Wert- und Orientierungsvorstellungen, sondern in Defiziten beim Gestaltenwollen.

Das kann sich eine auf Innovationen angewiesene Volkswirtschaft wie Deutschland - und das Gleiche gilt für alle reichen und entwickelten Industrieländer - im internationalen Wettbewerb nicht leisten. Die Herausforderungen müssen erkannt, bewußt gemacht und akzeptiert werden.

2. Analyse: Warum wird was geschehen?

Die Unternehmen werden durch den Wechsel des Kondratieff-Zyklus, ver-

bunden mit dem Übergang zur Informationsgesellschaft, herausgefordert

Die Lage

Die besondere Herausforderung der reichen entwickelten Industriegesellschaften ist, daß die 90er Jahre Wirtschaft und Politik mit einer Zäsur konfrontieren, die sich in der langfristigen industriellen Entwicklung durch die Kondratieff-Zyklen charakterisieren läßt. Ein Kondratieff-Zyklus - benannt nach dem russischen Ökonomen - beschreibt eine wirtschaftliche Entwicklung von etwa 50 Jahren als Phase des Aufschwungs und Aufbruchs von etwa zwei bis drei Jahrzehnten, die nach dem Höhepunkt sich stabilisiert und auf höherem Niveau einschwingt.

Der Aufschwung eines Kondratieff-Zyklus wird durch die breite Nutzung einiger großer, sogenannter fundamentaler Innovationen geprägt, die über ein Netzwerk Breitenwirkung erlangen. In Stichworten: (1) Dampfmaschine; (2) Eisenbahn; (3) Elektrifizierung; (4) Auto und Elektronisierung; (5) Wissen und Information, Ökologie.

Fundamentale Innovationen sind dadurch charakterisiert, daß zu Beginn des Zyklus die Vorstellungen zu möglichen Applikationen noch vage sind, ein Markt erst erschlossen werden muß und auch technisch neue Kombinationen - weitgehend jedoch auf bekannten Erfindungen basiert - erprobt werden müssen. Gefragt ist der Unternehmer, der bahnbrechende Erfindungen aufspürt, für große Applikationen zu nutzen und umzusetzen versteht (kurz: Erfinderunternehmer).

In der Konsolidierung geht es eher um die inkrementalen Innovationen des Besser, Schneller, Kleiner und Billiger. In dieser Phase dominiert eher der Management-Unternehmer, der die Märkte ausschöpft und die Produkte durchrationalisiert.

Diese Phase, die die Unternehmenskultur und Innovationskultur der letzten zwei Jahrzehnte geprägt hat, neigt sich dem Ende zu. Der Wechsel im Kondratieff-Zyklus ist während einer Übergangsphase mit Risiken behaftet, bietet aber auch neue unternehmerische Chancen.

Der vierte Zyklus, geprägt durch die Breitenwirkung von Automobil und Nutzung der Elektronik, wird abgelöst durch den fünften Kondratieff-Zyklus, der nach Meinung von Experten durch Innovationen im Umfeld von Information und Wissen sowie Ökologie geprägt sein wird. Mit diesem Wechsel im Kondratieff-Zyklus wird zugleich nach 200 Jahren Industriegesellschaft der Übergang zur Informationsgesellschaft eingeleitet. Bei der Reduktion des Bedarfs an industriellen Arbeitsplätzen - auch als Folge der Produktivitätssteigerung - handelt es sich dabei um mehr als einen konjunkturellen und strukturellen Wandel innerhalb von Branchen und Regionen; der Gesellschaft steht vielmehr ein fundamentaler Wandel bevor.

Die Herausforderung

Bei jedem Kondratieff-Zyklus geht es um etwas völlig Neues, was nicht aus Extrapolation der bisherigen Entwicklungen ableitbar ist. Es betrifft die Produkte und Leistungen und die notwendige Vernetzung zur Breitenwirkung. Es betrifft aber auch die materiellen und immateriellen Prozesse (Taylorismus; Standardisierung und Refabewegung; Kostenrechnung und Planungssystematik; Geschäftsfeldplanung und Organisationsentwicklung). Auch für den fünften Kondratieff-Zyklus ist deshalb mit einer prozeßmethodischen Innovation zu rechnen. Sie liegt im Bereich der verbesserten und systematischen Bewältigung von Komplexität. Die zusätzlichen neuen Herausforderungen beim Wechsel des Kondratieff-Zyklus liegen in der Notwendigkeit des Umdenkens.

Das Umfeld wandelt sich schneller als gewohnt und bringt Überraschungen. Die Organisation muß sich dem "Wandel außen" durch "Wandel innen" anpassen (Unternehmenskultur). Die Erschließung fundamentaler Innovationen erfordert andere Methodiken und Systematiken als die Erarbeitung inkrementaler Innovationen (Innovationskultur). Der Wandel der Produkte und Leistungen erfordert auch einen Wandel in den Prozessen ihrer Schaffung und Bereitstellung.

Der Unternehmer und Innovator muß von der Zukunft her in einem erweiterten Kontext denken und handeln. Deshalb ändert sich auch das Repertoire der Denk- und Arbeitsmethodiken. Der Unternehmer muß sich ein visionäres Vorfeld erschließen.

Nach der Systematisierung und Rationalisierung der Bereiche der Wertschöpfung in Produktion und Verwaltung bis hin zu Vertrieb und Planung, in Ansätzen auch der Entwicklung und insbesondere der Softwareentwicklung, ist in den nächsten Jahrzehnten eine Systematisierung der eher weichen Bereiche, der Forschung, des integrierten Engineering und auch der umfassenden strategischen Unternehmensplanung zu erwarten.

Die durchgängige, prozeßhafte Durchdringung der gesamten Organisation ist geradezu Voraussetzung für die Operationalisierung des vielfach geforderten vernetzten Denkens und Handelns und der dazu notwendigen Vernetzung aller Verantwortungseinheiten ohne Rücksicht auf Hierarchiestufen. Die Schaffung solcher Strukturen wird deshalb entscheidend dazu beitragen, die fundamentalen Innovationen zu erschließen.

5. Transzendenz: Was wollen wir überhaupt?

Wir wollen uns für die Zukunft rüsten

Ziele und Trends

Generalziele wie Kundenzufriedenheit, Wettbewerbsfähigkeit, angemessener Profit stehen kaum zur Debatte, obwohl die Erreichung und Erfüllung dieser Ziele immer wieder besondere Anstrengungen im Mikrobereich erfordert. Diese Anstrengungen bedingen Bedürfnisbefriedigung, Erneuerungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit im Makrobereich. Auch darüber ist schnell Einigung zu erzielen, vielleicht auch Einigung über partiellen Dissens bezüglich der Zielkonkurrenz. In diesem Falle ist zu prüfen, ob der Dissens gravierende Dysfunktionalitäten hervorruft.

Wichtig ist zu beachten, daß die drei Makroziele auf Metaebene nach außen und innen wirken. Einbußen im Innenverhältnis (z.B. innere Kündigung) wirken auf das Außenverhältnis zurück. Umgekehrt führen Nachlässigkeiten im Außenverhältnis, beispielsweise mangelhafte Erschließung innovativer Märkte, zu Störungen im Innenverhältnis.

Da diese Wirkungen sich eher mittel- und langfristig bemerkbar machen, finden sie in der Hektik des Tagesgeschäftes oft nicht ausreichend Beachtung. Der Gesamtkontext, in der eine Organisation denkt und handelt, ist daher genauso wichtig wie der Fokus, auf den sich Denken und Handeln richtet. Die Konsequenz ist, wir müssen beides, den Kontext und den Fokus, pflegen und weiterentwickeln wollen. Kontext und Fokus sind einem ständigen Wandel unterworfen.

Trotzdem bestimmt der Fokus "Märkte und Kunden, Produkte und Leistung" sozusagen die Orientierung des unternehmerischen Denkens und Handelns.

Den fundamentalen Wandel im Aufschwung eines Kondratieff-Zyklus für einen Geschäfts- und Technologiebereich generell zu charakterisieren, ist natürlich schwieriger. Hier muß jedes Unternehmen mit eigenen Überlegungen ansetzen. Die frühzeitige Beachtung von Megatrends kann wertvolle Hinweise bieten.

Ein Megatrend läßt sich mit wenigen Stichworten umreißen. Es geht um die zunehmende Integration der Medien-, Informations- und Kommunikationstechnik (Informatisierung und Telematisierung), die in immer stärkerem Maße auch in der Automatisierungstechnik Platz greifen wird und umgekehrt von der Automatisierungstechnik verstärkt Gebrauch machen muß.

Was den Fokus und den Wandel im Fokus angeht, so sind Experten und unternehmerische Verantwortliche die besten Kenner der Materie (solange der Kontext stabil ist).

In der Bewältigung des Wandels im Kontext hingegen könnte es ratsam erscheinen, sich einer erweiterter Expertise zu bedienen, um die notwendige Innovativität für fundamentale Innovationen zu fördern und das Wollen auf das denkbare Neue anders als bisher zu fokussieren.

Die Konsequenzen der Analyse sind in die Entwicklung einer neuen Sollvorstellung zu integrieren. In Zeiten, wo Vieles in Bewegung gerät und sich ein radikaler Wandel andeutet, helfen logische Schlußfolgerungen allein nicht weiter. Meist extrapolativ angelegt und dem Bewährten verhaftet, werden dabei zukünftige Entwicklungen nicht ausreichend berücksichtigt.

Das bewährte Verfahren von der These über die Antithese zur Synthese zu gelangen, versagt, schöpft zumindest nicht alle Potentiale aus, weil in Konfrontation mit der unbekannten Zukunft - was auch Angst bereitet - die den Veränderungsvorschlägen entgegengesetzten Gegenargumente überwiegen.

Es ist unternehmerischer Spürsinn gefragt. Es muß Wagemut entfaltet werden. Es sind zusätzlich emotionale Kräfte des Wollens und Wagens zu mobilisieren. Der Gestalter fundamentaler Innovationen darf sich nicht scheuen, Wünsche, unabhängig von Machbarkeit und Kosten, vorzutragen. Denn Wünsche heute können Fakten für morgen setzen. Trotz dem mit einer hoch disziplinierten Systematik gearbeitet werden.

Der Prozeß

Im ersten Durchgang der Bearbeitung der Frage, was wollen wir überhaupt, fallen Antworten sehr allgemein aus: Wir wollen als Unternehmen steigende Umsätze und hohe Gewinne machen, Marktanteile sichern und in einer sich verändernden Welt als Globalplayer agieren. Aber wie?

Im zweiten Schritt wird immer deutlicher bewußt, daß es auf fundamentale Innovationen ankommt, aber welche? Im dritten Schritt wird zunehmend kritisch gefragt, wie es um die eigene Innovativität bestellt ist: Nach einer Phase inkrementeller Innovationen, meist nicht gut genug, um etwas völlig Neues zu wagen.

Eine Organisation, die ehrlich zu sich selbst sein will, ist gezwungen, sich mit ihrer Innovations- und noch weitergehend mit ihrer Unternehmenskultur auseinanderzusetzen. Diese Reflexion zu bewältigen, ist ein schmerzlicher Prozeß, in dem viele Vorbehalte aufgetürmt werden, und in dem, wenn er erfolgreich absolviert werden soll, viele Barrieren wegzuräumen sind.

Zunächst muß im Binnenverhältnis der Organisation aufgeräumt und Ordnung geschaffen werden, um geistig Platz für das Neue schaffen zu können. Fehlende Systematik macht sich bemerkbar. Die ausufernde Komplexität droht, das Wesentliche der ursprünglichen Fragstellung zu verdecken. Zweifel werden angemeldet, Zähigkeit ist gefordert, um den weiteren Prozeß durchstehen zu können.

Ist die Bewältigung der Komplexität die Schwierigkeit im Innenverhältnis, so ist sie zugleich auch die Herausforderung, die im Außenverhältnis gemeistert werden muß: Eine komplexer werdende Welt verlangt - nach dem Prinzip der Entsprechung - auf allen Gebieten auch nach komplexeren Lösungen, die allerdings beherrscht werden müssen. Die unbekannten fundamentalen Innovationen haben in jedem Fall mit der Bewältigung von Komplexität zu tun.

Das eigene Unternehmen in der Bewältigung von Komplexität zu ertüchtigen, ist somit sogleich der Weg - und auch der einzige Weg - komplexerre Innovationen in einem noch unbekannten Feld zu erschließen.

Auf die Frage, was wollen wir überhaupt, kann die erste Teilantwort nur lauten: Wir wollen die Innovativität des eigenen Innovationssystems nutzen und fördern. Hier können und müssen die ersten gewagten Ideen für eine Operationalisierung ansetzen. Der Wille ist in die Tat umzusetzen. Absichtserklärungen zu einer verbesserten Innovationskultur reichen nicht aus. Innovationskultur ist eine Resultierende, die aus einem möglichst konzertierten Programm zur Steigerung der Innovativität hervorgeht und dann in der Umsetzung dieses Programms verstärkend auf dieses rückwirkt.

Die Antwort auf die Frage, was können wir wagen, lautet daher: Wir können wagen, das Unternehmen für die Zukunft zu rüsten und ein konzertiertes, strategisches Programm für die Steigerung der Innovativität entwickeln und umsetzen. Was ist dazu wie zu tun?

4. Option: Was können wir wagen?

Wir können Ideen für den Fortschritt wagen: Das innovative Am-

biente ist neu zu gestalten!

Die Organisation menschlicher Begegnung

Der Versuch, erste Antworten auf die Frage nach dem Wollen zu finden, hat drei Schlüsselstellen bewußt gemacht:

- Bewältigung von Komplexität

- Entfaltung von Wagemut

- Spürsinn für das Neue

Diesen Erfordernissen ist bei der konkreten Operationalisierung Rechnung zu tragen. Außerdem ist erkannt worden, daß ergänzend zur rationalen Argumentation gleichberechtigt eine emotionale Durchdringung der komplexen Sachverhalte und Wirkzusammenhänge erreicht werden muß. Nur auf diesem Wege positiv emotionaler Erlebnisse läßt sich die Angst vor Komplexität und vor der unbekannten Zukunft eindämmen, vielleicht sogar abbauen. Trotzdem soll eine disziplinierende Systematik genutzt werden können.

Der erste Antwortschlüssel liegt in der geeigneten Organisation menschlicher Begegnung. Die Gruppe, die sich bis hierher in der Analyse hervorgewagt hat, ist auch die Gruppe, die den besten Zugang zu den notwendigen Lösungen findet. Die Betroffenen sind meist selbst die besten Experten zu ihren Problemen und deren Lösung. Sie müssen nur Gelegenheit erhalten, miteinander - unter geeigneter Anleitung - zusammentreffen, um untereinander kommunizieren zu können.

Der Ort

Sie brauchen einen Ort für diese Treffen und die notwendige Kommunikation. Angesichts der aufgezeigten Erfordernisse - u.a. der Motivierung von emotionalen Kräften, die Berge versetzen können - kann dies nur ein besonderer Ort sein. Ein Ort, der geeignet ist, auch derartige Kräfte zu wecken. Das kann deshalb nicht der gewohnte Universalort der Kommunikation, das Besprechungszimmer, sein.

Einen solch besonderen Ort muß sich das Unternehmen leisten und schaffen. Ermutigung zu einem derartigen Investment läßt sich aus der Erkenntnis gewinnen, daß dieser besondere Ort auch der Ort ist, an dem sich neben dem Wandel im Unternehmen auch über den Wandel des Umfeldes nachdenken läßt. Letzteres ist Voraussetzung für die Erschließung, Aufbereitung und Vermittlung fundamentaler Innovationen, sodaß der Ort auch diesen dritten Zweck erfüllt.

Der Ort als Raum hat aber noch eine ganz andersgeartete Bedeutung. Er repräsentiert auch den notwendigen Freiraum zum Denken und Handeln, der gewährt wird, etwas völlig Neues zu wagen und er ist Symbol der Freiheit, die genutzt werden kann, mit unternehmerischem Spürsinn die Zukunft zu gestalten.

Bleibt die Frage, wie ein derartiger Ort beschaffen sein muß und wie er sich ausgestalten läßt?

Anknüpfend an den Dreiklang "Spürsinn, Wagemut, Komplexitätsbewältigung" ist zuerst das Komplexitätsproblem zu lösen. Was die Bewältigung von Komplexität so schwierig zu macht, ist einerseits die Intransparenz der stark vernetztes Sachverhalte und Wirkzusammenhänge, insbesondere immaterieller Art, und andererseits, daraus resultierend, das menschliche Verhalten gegenüber Komplexität mit der Präferenz, diese zu reduzieren.

Das Reduktionsbestreben führt zu Übervereinfachungen der vernetzten Strukturen, was bei Intransparenz gar nicht bewußt ist, und damit zu X-besten Lösungen, die der Komplexität der Vernetzung nicht gerecht werden. Deshalb sind ständige Nachbesserungen nötig.

Wenn es daher gelingt, die Vernetzung transparent und die Komplexität erlebbar zu machen, dann läßt sich einer unnötigen und schädlichen Reduktion von Komplexität entgegenwirken. Es kann sogar im Gegenteil versucht werden, die Komplexität in Form kontextueller Betrachtungen auszuweiten, was der Erkenntnis von Vernetzung dient und das Erlebnis von Komplexität bereichert. Über die anschließende bewußte und gekonnte Einengung von Komplexität erschließen sich andere und ganz neue Lösungszugänge zu einem Problem und für die Fokussierung des Lösungsbereichs.

Das ist gerade die Arbeitsmethodik, die gebraucht wird, um fundamentale Innovationen zu erschließen.

Dieser Weg der Bewältigung der Komplexität der Problem- und Aufgabenstellungen läßt sich methodisch-didaktisch absichern. Eine Reihe informationstechnischer Applikationen kann zur Unterstützung der Durcharbeit einzelner Denkkomplexe und in der Abfolge der Arbeitsschritte eingesetzt werden. Die emotionale Durchdringung und die rationale Modellierung werden über Methodik und Didaktik und den informationstechnischen Support in einer ganzheitlichen Systematik integriert.

Das Leitbild "Städte des Wissens als Stätten der Begegnung"

Der für die Organisation von Begegnung herzurichtende Raum ist zur Bewältigung von Komplexität in zwei Richtungen auszugestalten und auszustatten:

- zur Veranschaulichung komplexer Sachverhalte, insbesondere auch immaterieller Art, als ob man sich in einer vertrauten Umgebung befände

- zur Inszenierung von Wissen, als ob ein komplexer Sachverhalt und Wirkzusammenhang auf einem Theater dargestellt werden müßte

Die vertraute Welt ist der dreidimensionale Raum in all seinen Ausprägungen als Firmament, Landschaft, Stadt mit Straßen und Plätzen, bauliche Ensembles mit Fassaden und Innenräumen bis hin zu den nutzbaren Gegenständen. Es ist eine vernetzte Welt. Diese Metaphern des Gegenständlichen lassen sich - mit einiger Phantasie - auch in der Welt des Immateriellen nutzen. Dem Erscheinungsbild und der Erlebniswelt der Stadt - kurz dem Phänomen Urbanität - kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu.

Die Stadt ist gegenüber dem Land ein Ort konzentrierter Begegnungen mit ganz besonderen Wirkungen: "Stadtluft macht frei!" Die Kommune fördert Unternehmungsgeist und Kreativität, zieht tatkräftige Leute an, bietet Bildungsmöglichkeiten, auch Zertreuung, fördert kulturelle Entwicklung, kurz sie mobilisiert Schaffenskraft und Kreativität für das Neue, die Innovation.

Diesen Anforderungen gemäß ist die Kommune infrastrukturell und sozial organisiert und bietet zweckentsprechende Einrichtungen. Man kann sich, einmal mit den Strukturen vertraut, schnell orientieren - auch in einer fremden Stadt - man weiß, wo sich was erledigen und erleben läßt.

Im Erscheinungsbild und in der Erlebniswelt der Stadt wird praktisch Wissen in Szene gesetzt, dort spielt sich das Theater des Lebens ab.

Die Nutzung der Stadt als Leitbild "Wissensstadt", organisiert für Information und Orientierung, Lernen und Trainung, Innovation und Reformen, Handel und Wandel, bringt bei ihren Besuchern und Benutzern automatisch und unbewußt alle Vorteile urbanen Verhaltens zur Geltung. Die Wissensstadt ist geeignet, die emotionale Durchdringung bei einer Aufgabenstellung zur Wirkung zu bringen, und in der Wissensstadt ist auch Platz für die rationale Modellierung.

Mit dem Ansatz der "Wissensstadt" läßt sich die Erschließung, Aufbereitung und Vermittlung fundamentaler Innovationen als Prozeß modellieren (Stadtviertel etc.)

Lernen, wie man lernt

Die Meisterung des bevorstehenden Wandels im Umfeld und in der eigenen Organisation erfordert Lernen: Lebenslanges Lernen für den einzelnen und permanentes Lernen in den Organisationen selbst. Einerseits muß der Fundus an Faktenwissen für die Gewährleistung an Expertise gepflegt und fortgeschrieben werden. Dieses Wissen veraltet schnell. Eine gesicherte methodische Grundlage für diese Wissenserschließung bietet allein die Fähigkeit des "Lernens, wie man lernt".

Andererseits muß zur Bewältigung der Komplexität der Kontext über das gesamte Umfeld einer Organisation bewußt gehalten und als Orientierung für Entscheidungen genutzt werden. Dieses kontextuell vernetzte Wissen ist nicht über Datenbanken abrufbar, sondern muß über den Rohstoff Wissen hinausgehend in den Organisationen erarbeitet, zu Halb- und Fertigfabrikaten veredelt und zwischen allen Beteiligten vermittelt werden.

Damit ist erst die Basis für ein zukünftiges unternehmerisches und innovatives Denken und Handeln gelegt. Sie bietet Grundvoraussetzungen, die richtigen Dinge zu tun (Effektivität) und die Dinge richtig zu tun (Effizienz). Das Innovationssystem der Unternehmung muß diese Effektivität und Effizienz der Innovationen gewährleisten. Gegenüber dem repetitiven Geschäft mit dem Bestreben ausreichender Produktivität der Prozesse zeichnen sich die innovativen Aufgaben durch einen sehr hohen Bedarf an Lernen und Kommunikation aus, der befriedigt werden muß, um die Innovativität der Organisationen gewährleisten zu können.

Es kann und muß gewagt werden, die Notwendigkeit des Lernens und der Intensivierung der Kommunikation enger mit den Prozessen der Innovation zu verknüpfen und Lernen und Kommunikation in die Prozesse der Innovation systematisch einzubinden. Nur so bleibt Lernen gegenüber herkömmlicher Schulung bezahlbar. Die ritualisierte Kommunikation ist aus den Verschanzungen der Besprechungszimmer herauszulösen. Die (informelle) Kommunikation (Teeküche, Kopierer!) ist in einem innovativen Ambiente zu intensivieren.

Die lernende Organisation wird sich dieses neue, innovative Ambiente schaffen müssen, in dem sich die Erfordernisse nach Information und Orientierung, Lernen und Trainung, Innovation und Reorganisation/Reformen, integrieren lassen.

Lösungsziele und Lösungsansätze wie Intensivierung der Kommunikation, Verstärkung der interdisziplinären Kooperation, Beschleunigung des Wissenstransfers, Partizipation der Betroffenen und ähnliche und auch Nutzung informationstechnischer Unterstützung für Gruppenarbeit über Entfernung hinweg sind allgemein bekannt. Deren Umsetzung jedoch bewegt sich eher in evolutionären Bahnen.

Das Atelier für Innovatoren

Wer sich fundamentale Innovationen in der Konstellation des fünften Kondratieff-Zyklus erschließen will, braucht auch eine dafür geeignete Innovationsumgebung, in der sich die Innovationsprozesse entsprechend den verfolgten Lösungsansätzen konkret hinsichtlich Effektivität und Effizienz gestalten lassen.

Teams, die dem Erfinderunternehmer gleich denken und handeln wollen, als ob ein Kopf am Werke sei, sollten ihre Aktivitäten unter einem Dach vereinigen können. Sie brauchen eine entsprechende Innovations-Architektur: Diese stellt nicht nur physikalisch Platz und Raum zum Denken, Kommunizieren und gemeinsamen Arbeiten an Innovationen bereit, sondern sie bietet psychisch/mental auch (Frei-)Raum zum Denken und Handeln, und sie repräsentiert gleichzeitig durch ihre architektonische Struktur und ihre Einrichtungen auch die notwendige Systematik zur Erschließung, Aufbereitung und Vermittlung fundamentaler Innovationen.

Ein solcher Raum sei als "Atelier für Innovatoren" charakterisiert. Leichter für den eigenen Wirkungsbereich vorstellbar, wenn man ein Muster gesehen oder erlebt hat, mit einiger Phantasie jedoch denkbar als eine Mischung von Einrichtungen, die auf die skizzierten Lösungsziele und Lösungsansätze hin bisher nur in spezialisierter Form bestehen.

Aus der folgenden, stichwortartigen Aufzählung ist das Atelier für Innovatoren als Symbiose zu schaffen:

Information und Orientierung Ausstellung des Wissens

Lebenslanges Lernen Schulungs- und Trainingszentren

systematisches Arbeiten Methoden-TÜV

computergestützte Gruppenarbeit Medienstudio

Freiraum Künsteratelier

In der symbiotischen Integration ergibt sich daraus eine Architektur, in der sich Kontext- und Faktenwissen abbilden und methodisch-systematische Anleitungen repräsentieren lassen, bildhaft geschmückt wie eine Kirche oder sonstige Baulichkeiten mit zeremoniellen Funktionen. Es kann versucht werden, hoch komplexe, auch immaterielle Sachverhalte, anschaubar zu machen und Wissenszusammenhänge zu inszenieren wie in einem Theater. In einem derart gestalteten Bauwerk können Menschen einander begegnen, sich anregen lassen, miteinander arbeiten und zu gemeinsamen Handeln verabreden.

Mit der Auflassung vieler industrieller Arbeitsplätze läßt sich so manche alte Fabrikhalle zu derartigen Nutzungszwecken umwidmen und mit Informationsarbeitsplätzen in unterschiedlichen Kombinationen ausrüsten.

5. Ausblick

Es sind weitere Fragen zu stellen: Was soll geschehen (Resultierende)? Was muß geschehen, damit ..... (Initiativen)? Mit diesen beiden Fragen führt die sechsstufige Fragenfolge SATORI - gemäß den Anfangsbuchstaben der Stufencharakterisierung (satori, jap. Erleuchtung) - zur weiteren Konkretisierung und Umsetzung der Erkenntnisse.

Die Erarbeitung der Antworten und auch der Schlußfolgerungen ist Aufgabe der potentiellen Interessenten selbst. Allenfalls im Hinblick auf den Kontext lassen sich einige Andeutungen versuchen. Die aufgezeigten Aspekte bedürfen der Konkretisierung. Die Sicht von kleineren und mittleren Unternehmen und von Großunternehmen wird sich dabei unterscheiden. Gemeinsam können sie jetzt Ausschau halten nach weitergehenden Orientierungen.

Informations- und Innovationskultur, die mit dem Aufschwung des fünften Kondratieff's in Wechselwirkung hervorgebracht wird (ein ähnlicher Kulturwandel läßt sich für die anderen Zyklen nachweisen), wird aus vielen Quellen gespeist, und es wird vieler Erfahrungen bedürfen, bis sich im Angebot die Spreu vom Weizen trennt und sich für das Brauchbare eine gesicherte Konvergenz abzeichnet.

Zur Bewältigung des bevorstehenden Wandels kann es daher nützlich sein, einen ganz besonderen Anlaß, der scheinbar erhöhte Anstrengungen der Wirtschaft erfordert, als Attraktor zu nutzen, um das Notwendige, was zur Steigerung der Innovativität und zur Erschließung von Innovationen sowieso geleistet werden muß, zu beschleunigen. Ein solcher Attraktor ist die EXPO 2000 in Hannover, die Weltausstellung, auf der Deutschland und Europa demonstrieren kann, wie gut wir für die Zukunft gerüstet sind.

Dr. Helmut Volkmann, Siemens AG, Zentralabteilung Forschung und Entwicklung, 81730 München



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