Verantwortung im Umgang mit Technologie
Keine linearen Erwartungen in einer non-linearen Welt.
Der Faktor "Information" in Wirtschaft und Gesellschaft.

Helmut Volkmann, München

Zum Geleit

Die Zeiten sind turbulent und schwierig. Schnelle Antworten werden gesucht. Wir wollen zunächst lieber ein paar ganz einfache Fragen stellen. Warum? Eine gute Frage ist eine halbe Antwort. Ein gut strukturiertes Problem birgt die Lösung im Ansatz in sich. Es gibt weitere Gründe, sich Fragen zu stellen:

1. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der 90er Jahre sind nicht konjunkturell, sogar nicht einmal nur strukturell bedingt.

2. Die Wirtschaft wird nach 40 Jahren Prosperität erstmals wieder mit dem Phänomen der langen Wellen konfrontiert: der 4. Kondratieff-Zyklus, getragen von Auto und Erdöl, allgemein von Mobilität und Individualität, läuft aus. Für den 5. Kondratieff sind die notwendigen Impulse noch nicht spürbar.

3. Angesichts des Wandels in der zweiten Welt und der ungelösten Probleme der dritten Welt und der fundamentalen Probleme der ganzen Welt wird die Zukunft nur dann zufriedenstellend gestaltbar sein, wenn die Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft sich einer erweiterten und neuen Verantwortung bewußt werden und diese auch wahrnehmen.

Angesichts derartiger fundamentaler Herausforderungen müssen die Menschen Gelegenheit haben, neue Ideen zu wagen. Sie brauchen Freiraum, günstige Gelegenheiten (Occasionen) zu erspähen und mit Gedanken anzureichern, ohne daß die Ideen unmittelbar mit Gegenargumentationen konfrontiert und in ihrer Entfaltung behindert werden: Restriktionen des Machbaren bzw. Nichtmachbaren aufgrund mangelnder Ressourcen, Behinderungen durch bestehende Ängste oder vorherrschende politische, wirtschaftliche, aber auch wissenschaftliche Konstellationen.

Ein solcher Freiraum wird bisher allenfalls Künstlern zugestanden; warum nicht auch Politikern und den Unternehmern, den Forschern, aber auch den Betroffenen? Was könnten wir dann wagen?

Deshalb werden für den zu gestaltenden Wandel sechs Fragen gestellt. Sie gliedern die Überlegungen in sechs Betrachtungsstadien. Jedes Betrachtungsstadium wird mit einer These begleitet und auf eine unbequeme Kernaussage fokussiert. Es sind zunächst schlechte Nachrichten, die zu guter Botschaft gewandelt werden können.

Die Überlegungen sind - wie beim Gabler Top Management Forum - so angelegt, daß Interessierte mit einem Workshop aufsetzen können. Über die sechs Betrachtungsstadien hinweg sollen drei Spuren verfolgt werden:

- die Spur sozio-ökonomischer Wirkungen von Kapital und Arbeit in Polarität und Komplementarität

- die Spur der radikalen Innovationen zur unternehmerischen Zukunftsgestaltung im Anlauf der langen Welle des fünften Kondratieffs

- die Spur des lebenslangen Lernens für den Umgang mit Information in einer komplexer werdenden Welt.

Das Ziel ist, einen Prozeß des Wandels in Gang zu bringen.

Betrachtungsstadium S:

Start: Was ist geschehen?

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung läßt sich in Zyklen unterschiedlicher Fristigkeit deuten: Der fünfte Kondratieff-Zyklus fordert verantwortliches Handeln heraus!

Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundkonsens ist gestört, hoffentlich nicht zerstört!

Nichts ist so stetig wie der Wandel. Darauf beruht Fortschritt. Es gibt Konstellationen, wo sich alles wandelt, was sich wandeln kann. Eine derartige Konstellation scheint das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beim Übergang zum 21. Jahrhundert zu bestimmen.Es ist daher mehr als ein Übergang im Zählen der Jahre.

Wandel läßt sich aus Sicht der Wirtschaft in der Gesellschaft auf sechs Ebenen beobachten. Zur Zeit sind auf jeder Ebene Besonderheiten zu verzeichnen:

Ebene 1: Wandel in der Nachfrage am Markt durch Änderung und auch aktive Beeinflussung der Verbrauchergewohnheiten, z.B. in der Mode.

Ebene 2: Stetiger Wandel durch Innovationen: Sogenannte inkrementale Innovationen sorgen für ständige Leistungsverbesserungen, wie sie in fast allen Technologien zu beobachten sind. Für den einzelnen bei der Arbeit und im privaten Lebensbereich, insbesondere an den Beispielen Computer und Auto, wahrnehmbar.

Ebene 3: Das Auf und Ab der Konjunktur, von niemandem auf der Anbieter- und/oder Nachfrageseite so gewollt, aber als Resultierende des Systems "Marktwirtschaft" in ihren Ausprägungen akzeptiert.

Ebene 4: Der eher unstetige, sprunghafte, trotzdem oft nicht sogleich wahrnehmbare Wandel der Systeme, die am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen gestaltend beteiligt sind: neue Gesetzgebungen, Regierungswechsel, wirtschaftliche und gesellschaftliche Allianzen, regionale Zusammenschlüsse. Die aktuelle Herausforderung ist "Europa"!

Das ist in etwa die den Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft vertraute Welt. Es kommen zwei Ebenen des Wandels hinzu, deren Veränderungen nur über lange Perioden beobachtbar und über ebenso lange Fristen wirksam sind:

Ebene 5: Eine wirtschaftliche Entwicklung in langen Wellen von 40 - 60 Jahren, die seit mehr als 200 Jahren, rückgehend auf den russischen Ökonomen Kondratieff, nachgewiesen werden können. Sie sind seit Schumpeter als Kondratieff-Zyklen bekannt und benannt.

Ebene 6: Der Wandel der gesellschaftlichen und in deren Gefolge meist auch der wirtschaftlichen Paradigmen: das von allen gleich Gesagte, an dem sich alle orientieren, ohne daß es von allen ständig reflektiert werden muß. Das gilt für die Wissenschaften und in gleicher Weise für die Praxis.

Die besondere Konstellation der 90er Jahre ist, daß Wandel auf allen sechs Ebenen zu verzeichnen ist. Er kann im einzelnen noch nicht spezifiziert, geschweige denn in seinen Wechselwirkungen quer über alle sechs Ebenen hinweg vorhergesagt werden. Was an Langfristwirkungen registriert werden kann, deutet sich höchstens in weichen Signalen an. Die Gesellschaften stehen vor fundamentalen Herausforderungen. Zunächst muß es gelingen, eine stärkeres Problembewußtsein zu erzeugen. Dann kann versucht werden, Methoden zu erschließen, um die fundamentalen Herausforderungen zu analysieren und ersten Lösungen zuzuführen. Angesichts der Wechselwirkungen über die Ebenen hinweg muß das Wirkungsgefüge als Ganzes betrachtet werden.

Betrachtungsstadium A:

Analyse: Warum ist/wird was geschehen?

Inkrementale und radikale Innovationen bestimmen in Wechselwirkung Märkte und Produkte: Die richtigen Fragen stellen!

Dominiert Kapital die Arbeit?

Im Verlauf eines Kondratieff-Zyklus ist eine differenzierte, wirtschaftliche Aktivität zu beobachten:

Der Aufschwung ist durch radikale Innovationen geprägt. Durch den Einsatz neuer Technologien werden neue Applikationen ermöglicht und damit neue Märkte erschlossen. Investitionen sind notwendig! Es kommt zu verstärkten Wachstumsimpulsen, die längere Zeit anhalten.

Auf Basis der neuen Technologien sind weitere Applikationen realisierbar, die weiteres Investment erfordern, aber auch eine gute Rendite erbringen. Die Technologiekombinationen werden durch schrittweise Verbesserungen als inkrementale Innovationen bis zum Äußersten ausgereizt.

Der Markt wird mehr und mehr gesättigt. Die technischen und wirtschaftlichen Gestaltungskräfte ermüden. Kapital für weitere Neuerungen ist im Streben nach hoher Rendite eher knapp. Die weitere wirtschaftliche Prosperität ist nicht mehr gegeben, der Abschwung setzt ein.

Die Dynamik der langen Welle resultiert - pointiert kurz gefaßt - aus der Wechselwirkung zwischen Markt und Innovationen, und zwar in beiden Fällen aus der Ausschöpfung des Vorhandenen und der Schaffung des Neuen.

Die Wirtschaft und Gesellschaft befindet sich Anfang der 90er-Jahre noch im Übergang von der vierten zur fünften langen Welle. Der Aufschwung wird also nur einsetzen, wenn wieder radikale Innovationen in Angriff genommen werden. Die notwenigen unternehmerischen Impulse fehlen jedoch. Die Verhaltensweisen sind noch durch die Charakteristika des Abschwungs geprägt. Für einen Aufschwung müssen Ideen und Initiativen mobilisiert werden, und zwar genereller Art und auch spezifisch hinsichtlich der neuen, prägenden Faktoren für den fünften Kondratieff.

Verantwortliches Handeln ist gefordert. Was heißt das? Eine Rückbesinnung auf die Urväter der Ökonomie kann nicht schaden:

Wirtschaften bedeutet Bedürfnisse befriedigen! Die Produktionsfaktoren Boden, Arbeit, Kapital sind optimal zu kombinieren! Die eigene Position des Unternehmens/der Organisation ist im Umfeld sichern und entwickeln

Werden auf der operativen Ebene die Faktoren optimal kombiniert, so wird Arbeit nachgefragt und die Bedürfnisse können befriedigt werden. Es wird Kapital gebildet und die Position aller Beteiligten kann entwickelt und ausgebaut werden. Dieses Regulativ ist langfristig angelegt: Bedürfnisse und Position und die verfügbaren Ressourcen sind die maßgeblichen Steuerungsgrößen.

Es kann zu Pendelbewegungen kommen, die sich bei gleicher Orientierung aller ausgleichen: Bedürfnisse werden, wenn sie die Positonssicherung gefährden, zurückgestellt. Faktorkombination ist ein ständiger Lernprozeß. Wer mehr lernt, kann sich mehr leisten und eine bessere Position erringen. Lernen erfordert Zeit und Kapital, damit auch Konsumverzicht und Verzicht auf übermäßiges Entwicklungstempo. Das ist die fundamentale Entfaltungsspirale.

Diese Grunderfordernisse sind leider wenig beachtet worden.

Um es klar und deutlich zu sagen: Das Kapital in der Jagd nach Renditen hat die Arbeit übermäßig verdrängt. Der Übergang von der Industriegesellschaft zur Zukunftsgesellschaft ist gefährdet.

Betrachtungsstadium T.

Transzendenz: Was wollen wir überhaupt?

Die treibenden Kräfte marktwirtschaftlich geleiteter gesellschaftlicher Entfaltung sind wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt, technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachsum: Bedeutet dieser Fortschritt (nicht) Rückschritt?

Den Fortschritt neu gestalten!

Welcher Fortschritt ist gemeint? Die treibenden Kräfte des Fortschritts sind wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt, technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum. Sie treiben sich gegenseitig, aber einsinnig maximierend. Was ist Fortschritt? Fortschritt im biologioschen Sinne bedeutet mehr Optionalität im Lebensraum. Gesellschaftlicher Fortschritt ist Optionalität für den Menschen. Optionalität erfordert mehr Komplexität! Sie muß beherrscht werden. Und wenn die Handlungsfähigkeit des Ganzen gewahrt werden soll, so ist die Mitwelt einzubeziehen.

Die erste Triade der treibenden Kräfte muß durch eine zweite Triade, Optionalität zum Handeln, Beherrschung der Komplexität und Schonung der Mitwelt reguliert werden. So wird einer einsinnigen Maximierung von Leistungen durch eine gleichzeitige Minimierung von Störungen entgegengewirkt.

Die Forderung, den Fortschritt neu zu gestalten, ist eine Aufforderung zum Paradigmenwandel. Dieser mag sich schrittweise vollziehen, so wie es sich in strengeren Gesetzgebungen zum Recycling andeutet, aber er wird kommen müssen. Der Aufschwung der fünften langen Welle wird maßgeblich durch ein neues und erweitertes Bewußtsein für die anstehenden Probleme mitbestimmt werden.

Der heilsame Zwang hat eine paradoxe Wurzel. So sarkastisch es klingen mag, die Probleme von heute sind die Geschäftsmöglichkeiten von morgen: Problemlösungsgeschäfte! Doch diese Geschäfte bedürfen der radikalen Innovation: Die Märkte müssen noch für neuartige Applikationen erschlossen, die Applikationen durch neuartige Technologiekombinationen realisiert werden. Der dynamische Unternehmer im Sinne Schumpeters ist gefragt. Der Unternehmer mit Spürsinn, Weitblick und der Fähigkeit zu groß angelegten Kooperationen! Das lehrt auch die Analyse der Kondratieff-Zyklen.

Weitsichtige Unternehmer haben in umfassenden Kooperationen flächendeckende Netze geschaffen: Verkehrsnetze, Energieversorgungsnetze, Kommunikationsnetze. Auf diesen Netzen konnten neuartige Applikationen aufsetzen, durch die umkehrt der Ausbau der Netze gefördert wurde. Und die Vernetzung wirkte untereinander synergiestiftend. Das neue Netz baut auf den schon existierenden auf und ermöglicht umgekehrt einen erweiterten Netzbetrieb in allen anderen Netzen. Was ist das flächendeckende Netz des fünften Kondratieffs?

Die radikalen Innovationen zur Entfaltung eines Kondratieff-Zyklus sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck der Befriedigung von Bedürfnissen. In diesem Sinne wurde in den Kondratieff-Zyklen mit den sie prägenden Applikationen eine dominierende gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung verfolgt und erreicht. Der nächste Zyklus konnte auf den Errungenschaften des jeweils vorherigen aufsetzen.

Mit der Dampfmaschine wurde die Arbeit erleichtert. Die Eisenbahn machte es möglich, Ressourcen über weite Strecken verfügbar zu machen. Die Elektrizität trug dazu bei, die Urbanität lebenswert zu gestalten. Das Auto und die Elektronik leisteten Beiträge, die Individualität und Mobilität zu fördern.

Dieser Fundamentalbedarf hat sich im wesentlichen mehr oder weniger deutlich zu Beginn des Aufschwungs artikuliert und zu einer Aufbruchstimmung beigetragen. Die Frage ist, welcher Fundamentalbedarf den fünften Kondratieff-Zyklus zur Entfaltung bringen kann.

Der unternehmerische Spürsinn muß die weichen Signale bündeln, nicht nur die harten Fakten extrapolieren. Schlechte Nachrichten gibt es genug. Sie erzeugen in ihrer Summe allenfalls Einsicht, daß sich etwas ändern muß, aber noch keine Aufbruchstimmung.

Aber es gibt auch erfreuliche Signale. Man muß sie nur vernehmen. Dazu gehören Ansätze, wie sie in Zukunftswerkstätten und kooperativen Netzwerken verfolgt werden, denen die Unternehmer eher noch skeptisch gegenüberstehen. Hier wird teilweise auf ehrenamtlicher Basis Problemlösung betrieben. Starke Geschäftspartner wären durchaus erwünscht.

Ein erfreuliches Signal zur zukünftigen Entwicklung ist auch das zunehmende Bekenntnis zur Notwendigkeit eines lebenslangen Lernens. Beim lebenslangen Lernen geht es nicht allein um das Lernen von Wissen, das immer schneller veraltet, es geht vor allem auch darum zu lernen, wie man lernt und zu lernen, wie man hilft. Das ist gerade die Sorte an Erfahrung, die die oben genannten Initiativen unterstützt und gefördert haben.

Angesichts der weltweiten Probleme liegt im Lernen dann auch eine Antriebskraft zur Organisation einer flächendeckenden Infrastruktur, nämlich alle Aktiven mit den Informationen zu versorgen, die sie brauchen, um Probleme zu lösen und sogar im weltweiten Maßstab Problemlösungsgeschäfte zu betreiben.

Derartige und viele weitere Signale lassen sich als Fundamentalbedarf in der Aussage bündeln: Probleme für die Mitwelt lösen! Das schließt alles ein. Es erscheint noch wenig operational. Für die Erzeugung und Verbreitung einer Aufbruchstimmung muß die dritte Komponente ergänzend zu Spürsinn und Weitblick mobilisiert werden: Das Kooperationspotential!

Es gibt Zukunftsforscher, die klar zu verstehen geben, daß sie die Hoffnung zur Zukunftsgestaltung auf die Unternehmerschaft gründen. Dann sind die Unternehmer mit Spürsinn, Weitblick und Fähigkeit zur Kooperation aus den eigenen Reihen heraus eingeladen und aufgefordert, die Zukunft gestaltend aktiv zu werden.

Betrachtungsstadium O:

Optionen und Occasionen: Was können wir wagen?

Durch Gestaltung führen, durch Führung gestalten: Erfolgreiche Innovationen leben von unternehmerischen (!) Visionen, die auch Innovationsfelder über Unternehmengrenzen hinweg in Gang setzen!

Kapital in Arbeit wandeln!

Den fünften Kondratieff gestalten! Der dynamische Unternehmer ist gefordert! Das ist leicht gesagt. Aber wie läßt sich das konkret bewerkstelligen? Zunächst heißt es, Fragen stellen, immer wieder Fragen stellen. Auf der anderen Seite ist es hilfreich, Wünsche zu artikulieren - wirklich einen Wunschzettel anlegen wie zum Weihnachtsfest: Wünschen ist erlaubt und bekanntlich werden auch bei diesem Fest nicht alle Wünsche erfüllt. Und drittens ist es vorteilhaft, Ideen zu plazieren. Sehr gewagte Ideen sogar, die zunächst ohne Rücksicht auf Machbarkeit in einem Freiraum offen zu diskutieren sind. Probieren wir es!

Es gibt Fragen, die alle beschäftigen. Beispielsweise

- Wieviel Sozialstaat können wir bezahlen? Wohin führt die stetige Zunahme der strukturellen Arbeitslosigkeit? Wieviel Umweltschutz können wir uns leisten? Wie läßt sich die Position des Standortes "Deutschland" oder gar "Europa" sichern?

Aber Antworten sind schwierig, sollten auch gar nicht vorschnell versucht werden. Es gibt generelle Wünsche, die alle teilen könnten:

- In die Zukunft investieren! Eine lebenswerte Gegenwart gestalten! Aus der Vergangenheit lernen!

Aber nicht einmal diese Wünsche sind allgemein akzeptiert. Wir sind gegenwartsfixiert. Und es gibt Einsichten, die schwer vermittelbar sind, obwohl sie argumentativ kaum in Frage gestellt werden dürfen/können (?):

- Volkswirtschaftlich richtig rechnen! Nicht arbeiten müssen bringt Zeit zum Lernen!

Schön wär's, wird so mancher sagen. Warum dann nicht versuchen?

Aber auch der dynamische Unternehmer, der geneigt ist, die Herausforderungen anzunehmen, steht - selbst bei gutem Willen - in einer vertrackten Situation. Dieses Problembündel ist scheinbar nicht lösbar. Trotzdem, es müssen Lösungen gewagt werden. Vielleicht stecken gerade in dem geschnürten Bündel von Fragen, Wünschen und Einsichten die Chancen.

Nachdem - gemessen am fundamentalen Regulativ - Kapital die Arbeit verdrängt hat, muß es reinvestiert werden, um wieder Arbeit zu schaffen, und zwar von allen Beteiligten einschließlich den Verbrauchern. Das bedeutet schlicht Konsumverzicht bei allen Faktoreinkommen. Das bedeutet Wandel der Bedürfnisbefriedigung vom Konsum zur Investition. Allerdings müssen die Investitionen in einen erweiterten Kontext gestellt werden.

In einem Workshop zur aktiven Zukunftsgestaltung muß versucht werden, Optionen zum Handeln zu gewinnen. Nach der Bekundung des Wollens müssen Ideen gewagt werden, sogar zunächst naiv erscheinende Ideen, ohne sich durch Fragen der Machbarkeit, Finanzierbarkeit und Durchsetzbarkeit irritieren zu lassen. Eine gewagte Idee könnte sogar geeignet sein, Wagnis-Kapital zu mobilisieren.

Eine solche Wagnis-Idee läßt sich etwa in folgender Gedankenkette erschließen:

(1) Probleme von heute sind Geschäfte von morgen: Problemlösungsgeschäfte. Diese Geschäfte erfordern, wie alle Geschäfte, im Vorlauf Investitionen.

(2) Es sind komplexe Problem- und Aufgabenstellungen zu lösen. Es werden Informationen gebraucht. Die Beteiligten müssen mit Komplexität in einem erweiterten Kontext an Information umgehen.

(3) Lernen ist ein wichtiger Teil des Investments für die Zukunft. Es ist sogar Voraussetzung für die aktive Zukunftsgestaltung.

Soweit die Fakten. Der Lösungsansatz wird mit einer Wagnis-Idee verknüpft:

Nicht arbeiten müssen ist Zeit zum Lernen!

Arbeitslosigkeit muß schon kurzfristig, erst recht mittelfristig, eine völlig andere Bewertung erhalten: im Unternehmen, in der Gesellschaft und bei den potentiell Betroffenen auch. Jemanden im Geschirr der Arbeit vorübergehend oder auf Dauer entbehren zu können, ist potentieller Gewinn für die Zukunft, wenn die Zeit zum Lernen genutzt wird.

Es geht um die Herausforderung des lebenslangen Lernens und davon sind alle betroffen. Die gesamte arbeitende Bevölkerung und als Verbraucher und Bürger sogar alle. Was für ein Markt, so er denn erschlossen wäre.

Eine einfache Rechnung: Würden 10 % der Belegschaft jeweils für ein Jahr die Schule des lebenslangen Lernens besuchen können, dann würde zweierlei erreicht:

1. Innerhalb von 10 Jahren könnte die Gesamtbelegschaft für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben gerüstet sein.

2. Eine Quote von bis zu 10 % stände bei einer geschickt organisierten Umbesetzung von Arbeitsplätzen zur Verfügung, an denen Arbeitskräfte tätig werden können, die anderweitig nicht mehr eingesetzt werden müssen.

Wenn sich die Unternehmen für ein weltweites Problemlösungsgeschäft rüsten wollen, dann müssen sie diesen Weg sogar gehen.

Die notwendige radikale Innovation ist mit einem "Münchhausen-Effekt" zu starten. Einer muß anfangen, zumindest anfangen zu fragen:

Was heißt lebenslanges Lernen? Wo bleibt die Bundesanstalt für "lebenslanges Lernen"? Was könnte sie für Konzepte vorschlagen? Welche Initativen zu diesem Problem existieren bei den Unternehmen und Unternehmensverbänden, den Standesvereinigungen der Berufe, den Gewerkschaften, den Parteien, den Bürgern? Wer kann ein Curriculum für die Schule des lebenslangen Lernens entwerfen? Unter welchen Bedingungen sind derartige komplexe Problem- und Aufgabenstellungen überhaupt bearbeitbar und wie wird die notwendige Kreativität mobilisiert? Welche Logistik wird gebraucht?Welche strategische Vision kann helfen, den notwendigen Prozeß der radikalen Innovation zu entfalten?

Das sind Fragen, die am Anfang radikaler Innovationen aufgeworfen werden müssen. Und viele andere mehr.

Die Markterschließung der radikalen Innovation muß investive Bedürfnisse wecken:

- Das Bedürfnis, Probleme zu lösen, weil damit die einzigst trächtigen Zukunftsgeschäfte erlangt werden können: die Problemlösungsgeschäfte. Adressaten sind Verantwortlichen in Exekutive und Legislative auf allen Ebenen von der Kommune bis zu den europäischen und internationalen Institutionen.

Es werden Stätten der Begegnung gebraucht, in denen gewagte Ideen erzeugt und ausgetauscht werden können.

- Das Bedürfnis in den Unternehmen und in den Kommunen an der Gestaltung des Problemlösungsgeschäftes in geeigneter Weise mitzuwirken.

Es sind dezentrale Verantwortungsgemeinschaften über Organisationsgrenzen und Kommunengrenzen hinweg einzurichten und zu unterstützen.

- Das Bedürfnis des Bürgers und Mitarbeiters, lebenslang zu lernen und Investivbedürfnisse des Lernens und der besseren Information zu befriedigen.

Es sind Lernstätten aller Art in den Unternehmen und in den Kommunen einzurichten, die über die Formen des klassischen Lernens weit hinausgehen.

In diesen drei Bedürfnisfeldern liegen neue Märkte, neue Produkte und neue Leistungen. Von großen Organisationen wird vielfach gesagt: "Wenn sie wüßten, was sie wissen!" Es wird auch die Auffassung vertreten, daß bis zu 80 % allen Wissens, das benötigt wird, um große und gravierende Probleme aller Art zu lösen, vorhanden ist. Es ist nur nicht in geeigneter Weise erschlossen. Es muß aufbereitet werden und die aufbereitete Information muß zwischen den Beteiligten und Betroffenen transferiert werden: Wissenserschließung, Informationsaufbereitung und Informationstransfer werden zunehmend integriert.

Die Unternehmen müssen zu diesem Zweck das verfügbare Wissen und die erlangbaren Informationen besser beherrschen und für ihre Arbeit nutzen. Deshalb werden auf dem Wege zur Informationsgesellschaft immer mehr Arbeitsplätze mit der Erschließung, Verarbeitung und Verteilung von Information beauftragt sein. Experten schätzen, daß es in übersehbarer Zeit 70 - 80 % aller Arbeitsplätze in einer entwickelten Gesellschaft sein werden. 1/3 davon werden als Arbeitsplätze mit komplexen, kreativen Arbeiten eingestuft. Das sind dann 1/4 aller Arbeitsplätze.

Betrachtungsstadium R:

Resultierende Vorstellungen: Was soll geschehen?

Radikale Innovationen systematisch betreiben: In einem kreativen Umfeld über Scenarien Programme entwickeln und Ideen in strategischen Leitvorhaben bündeln!

Kapital und Arbeit versöhnen

Beim Übergang vom vierten zum fünften Kondratieff sind immense Herausforderungen zu meistern. Radikale Innovationen müssen angegangen werden. Das kann nur gelingen, wenn Kapital und Arbeit zueinander finden, wenn sich die Polarität zur Komplementarität wandelt, wenn Kapital und Arbeit sich in der Zukunftsgestaltung vielleicht sogar versöhnen.

Natürlich läßt sich eine Wagnis-Idee nicht 1:1 umsetzen. Die Wagnis-Idee bietet aber Impulse für die Erschließung der radikalen Innovationen. Wichtig ist, viele Ideen zu sammeln und zu erzeugen. Es kommt zunächst gar nicht auf die Tragfähigkeit einzelner Ideen an. Erst ihre Bündelung und Ordnung in Gestaltungsfeldern läßt Chancen erkennen, ob und wo unternehmerische Initativen ansetzen können. Innerhalb der Gestaltungsfelder sind dann Leitvorhaben zu identifizieren. Es bedarf mehrerer Kreisgänge, aber der Prozeß läßt sich durchaus systematisch gestalten und mit Hilfe eines Szenarios entfalten und begleiten.

Lebenslanges Lernen ist ein Gestaltungsfeld, das weitreichende Chancen eröffnet, aber auch Notwendigkeiten verdeutlicht. Zur Identifizierung von Leitvorhaben und Gestaltungansätzen bietet das Szenario erste Orientierungen:

(1) Für das lebenslange Lernen sind neue Formen der Aus- und Weiterbildung zu entwickeln: im schulischen Bereich, aber auch in den Unternehmen und Organisationen selbst, im Kulturbetrieb, der verstärkt im DIenste des Lernens stehen kann (Infotainment) und in der Selbstverwaltung der Kommunen.

(2) Lernen ist eine Investition, die Kapital benötigt als Geld und Zeit: Der Bürger muß bezüglich dieser Investivbedürfnisse aufgeklärt werden. Aber auch den Unternehmen und Organisationen muß klar sein, daß sie mehr als bisher und anders als bisher in das Lernen investieren müssen und daß sich die Formen des Lernens wandeln.

(3) Lernen kann über Organisations- und Kommunengrenzen hinweg neuartig organisiert werden. Es werden Stätten der Begegnung gebraucht, in denen Gruppen gemeinsam arbeiten und lernen können. Stätten, die mit allem Equipment der Medien- und Informationstechnik ausgerüstet sind, um die Komplexität der Aufgabenstellungen zu meistern und das Lernen zu erleichtern.

(4) Auf Basis derartiger Vorkehrungen können komplexere Problem- und Aufgabenstellungen angegangen werden. Es wird viel Information für das Problemlösungsgeschäft benötigt. Nicht allein Unternehmer im Informationsgeschäft, sondern alle Unternehmen sind als Verwender und umgekehrt auch alle als Produzenten von den neuen Entwicklungen betroffen.

(5) Die Entwicklung von Visionen und radikalen Innovationen braucht Information in allen Bedarfsfeldern des Problemlösungsgeschäfts: Recycling, Energieersparnis, langlebige Produkte, Sanierung, Automation, Informatisierung, Lernen, Infotainment. Davon sind alle betroffen.

(6) Last not least: Alle Beteiligten müssen lernen: Verantwortliche und Bürger. Eine Prognose ist, daß beide Gruppen füreinander in gegenseitiger Vorbildfunktion füreinander wirken (können)! Es werden scheinbar Opfer verlangt, in Wirklichkeit sind es Investitionen in die Zukunft.

Derartige Szenarien - hier am Beispiel des weichen Signals des Erfordernisses des lebenslangen Lernens angeboten - lassen sich in einem Prozeß durch Beteiligung vieler entfalten und detaillieren. Sie bilden den Hintergrund und die Basis für die Erschließung einer spezifischen Vision eines Unternehmens.

Beispielhaft der Systematik folgend kann versucht werden, zwei Leitvorhaben zu identifizieren, die für alle Unternehmen und Organisationen von Bedeutung sein können, unabhängig davon, wer die unternehmerische Initiative ergreift:

- Bauwerke, in denen neue Denk- und Arbeitsmethoden genutzt werden können: Methoden der Kommunikation und des Lernens, der Verrichtung komplexer, kreativer Informationsarbeiten zur Bearbeitung von Problemen, zur Erschließung von Visionen und Erarbeitung radikaler Innovationen. Das können - nach allem, was ausgeführt wurde - keine Konferenz- und Tagungsstätten herkömmlicher Art sein.

- Informationsbanken aller Art, die die Veranstaltungen in den Bauwerken mit Informationen beliefern, aber auch im Rahmen der zu wahrenden Vertraulichkeit Ergebnisse aus diesen Veranstaltungen gegen Entgelt abnehmen.

Es geht um mehr als Datenbanken mit dem Rohstoff Wissen. Es geht um die Organisation eines Handels mit aufbereiteten Informationen in Form von weiter- und mehrfach verwendbaren Halb- und Fertigfabrikaten. Es kann sich ein flächendeckendes Netz entfalten.

Natürlich muß dieser Markt noch erschlossen werden . Deutlich wird, daß in den Gestaltungsfeldern nicht allein die Informationsindustrie im engeren Sinne tätig werden kann, sondern daß beispielsweise die Bauindustrie in Verbindung mit Dienstleistern aller Art unternehmerisch initiativ werden kann. Nutznießer werden alle sein.

Betrachtungsstadium I:

Innovationen: Was muß geschehen, damit?

Die eigene Organisation in einem Prozeß der Selbstorganisation fordern, öffnen und wandeln: Die Besten über Organisationsgrenzen hinweg "gezielt und gekonnt" zusammenbringen!

Zukunft = Kapital x Arbeit

Das eher noch gesellschaftlich orientierte Szenario ist auf das eigene Unternehmen bzw. die eigene Organisation und Institution zu transponieren und bezüglich konkreter Maßnahmen zu operationalisieren. Im eigenen Bereich muß Kapital an Geld und Zeit, Wissen und Erfahrung, mobilsiert werden. Dieses Kapital, kombiniert mit Informationsarbeit, vermag Synergie zu stiften.

Es gibt keine Patentrezepte. Aber die Befolgung einiger Leitempfehlungen mag helfen, den weiteren Prozeß zu gestalten:

(1) Aufklärung tut Not! Appelle nutzen nichts! Der notwendige Informationstransfer zu den zu Beteiligenden und Betroffenen muß bereits mit neuartigen Formen des Lernens verknüpft werden. Das Ziel ist das informationsgeführte Unternehmen, das weiß, was es weiß.

(2) Der Weg dorthin ist weit. Es geht ja nicht allein um die Vermittlung von Fachinformationen, sondern - wenn man weiß, das radikale Innovationen in Angriff genommen werden müssen - vor allem auch um den Wandel im Verhalten und in der Einstellung aller Beteiligten. Lernfähigkeit, Erneuerungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit müssen mobilisiert werden. Dann erst kann es gelingen, weitergehende Bedürfnisse nach Innen und Außen zu befriedigen.

(3) Ein Szenario zur Markterschließung muß die Innovationen umfassend aufbereiten. Es geht um Produkte und Leistungen, um den Wandel des Systems, in dem eine Innovation realisiert werden soll, und um die Anreicherung mit Wissen und die Änderung des Verhaltens. Die Anstrengungen müssen den voraussichtlichen Kunden und auch dem eigenen Bereich gewidmet werden.

(4) Alle diese Überlegungen sind von der Art, daß sie bebreits mit neuen Formen der Wissenserschließung, Informationsaufbereitung und des Informationstransfers in den skizzierten Stätten der Begegnung durchgeführt werden müßten. Die sich anbahnende Integration der Medien- und Informationstechnik wird dabei eine große Rolle spielen.

(5) Für den eigenen Bereich ist ein konzertiertes Programm, der Informatisierung aufzulegen. Wichtig ist, zuerst die neuen Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsmethodik zu bedenken, bevor die Technik zum Einsatz gebracht wird.

(6) Last not least sind die Überlegungen anzustellen, wie das eigene Engagement im Problemlösungsgeschäft aussieht und wie es mit Hilfe der anskizzierten Vorhaben in seiner Effektivität und Effizienz noch viel zukunftsorientierter gestaltet werden kann.

Bei vielen der aufgezeigten Arbeitsschritte sind Überlegungen anzustellen, die weit über den eigenen Bereich hinausgehen. Es bietet sich an, Kooperationen zur Gestaltung des bevorstehenden Wandels zu suchen. Auf diese Weise kann es auch gelingen, unternehmerische Initiativen über ein Schneeballsystem in die Gesellschaft hineinzutragen.

Zusammenfassung

1. Der zur Zeit stattfindende und noch nicht bewältigte Wandel ist fundamental und hat alle sechs Ebenen einer wirtschaftlichen Betrachtung in der Gesellschaft erfaßt.

2. Es lohnt eine systematische Konstellationenanalyse zur Gewinnung von weiteren methodischen Ansätzen und zur Erschließung von Informationen, die in Zukunftsprojektionen eingehen können.

3. Die Ausrichtung und Konzentration der Vorstellungen auf zukünftige Herausforderungen erfordert, Grenzen des Gewohnten zu überschreiten.

4. Durch Phantasie, aber auch disziplinierte Systematik läßt sich ein visionäres Vorfeld eröffnen. Es müssen Ideen für die Zukunft gewagt werden.

5. Radikale Innovation läßt sich systematisch betreiben. Für das Bedarfsfeld "Information und Organisation", das den 5. Kondratieff maßgeblich beeinflußt, wurden beispielhaft zwei Leitvorhaben identifiziert.

6. Abschließend wurde versucht, die generelle Bedeutung dieser Leitvorhaben für die Durchführung komplexer, kreativer Informationsarbeiten in großen Organisationen herauszuarbeiten.

Der Prozeß der sechs Fragen, die sechs Schwerpunkte der Betrachtung entfaltet haben, ist immer und immer wieder zu durchlaufen. Die Anfangsbuchstaben der sechs Schwerpunkte

Start, Analyse, Transzendenz, Optionen, Resultierende,

Innovationen

bilden das Akronym SATORI. In Japanisch bedeutet es Erleuchtung.



[Artikel und Ausätze]