mit ersten Berichten aus XENIA,
der Wissensstadt
am Wege zur Informationsgesellschaft
Helmut Volkmann, München
Die Vision | ||
Bilder sagen mehr als tausend Worte | Es heißt: Bilder sagen mehr als tausend Worte. Deshalb ist
es schwer, in einer Nachdokumentation die Impressionen aus einem Vortrag
zu vermitteln, der sich überwiegend auf Bilder abgestützt hat,
die kommentiert wurden. Auf der anderen Seite läßt die reduzierte
sprachliche Andeutung eines Bildes Spielraum für Phantasien, Assoziationen
und Vorstellungen, um sich einen Kontext zu erschließen. Vielleicht
sollte die folgende fingierte Meldung und die ergänzende Interpretation
ernst genommen werden (6):
Auf den Tag genau wie geplant ist rechtzeitig zum Jahrtausendwechsel am 31. Dezember 1999, 9,00 Uhr, die unter Führung des Alpha-Konsortiums mit einem Kapital von rund 550 Mill. Dollar erstellte Knowledge City in einem Vergnügungsareal im Pazifischen Raum nach nur dreijähriger Bauzeit ans Netz der Breitbandkommunikation gegangen. Die Betreiber sind optimistisch, in schon weiteren drei Jahren eine vollständige Refinanzierung zu erlangen. "Ich stelle mir vor", sagte Gantenbein, "eine Stadt zu errichten, in der alles Wissen der Welt versammelt ist und in geeigneter Aufbereitung angeboten wird, und zwar nicht nach wissenschaftlichen Diziplinen geordnet, sondern nach Lebens- und Problembereichen aufbereitet." Gantenbein fungiert als autorisierter Stadtführer in Knowledge-City. Er macht die Besucher bekannt mit den Old Knowledge Cities und ihrer Geschichte, auch ihrem Verfall und Wiederaufbau, mit den Trabantenstädten der Wissenschaft, mit den Problem Slums und den Modern Cities. Vergnügliches Lernen bieten die Attraktionen von Reality Park. Die Old Knowledge Cities sind als Miniaturen, vergleichbar einem Disney-Land, realisiert und mit den Attraktionen kombiniert. Die großen Lebens- und Problembereiche können als virtuelle Realitäten in Informationsstudios besichtigt werden.
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Wissen
und Orientierung bieten | Wissen und Orientierung bieten heißt die Devise des Unternehmers,
der die Knoledge Cities betreibt. Das Anliegen ist,
Besucherzielgruppen der Knowledge Cities sind nicht nur Schulklassen und Familien, sondern auch Gruppen von Bürgern und Verantwortlichen, die sich mit bestimmten Problemen auseinandersetzen. Ob Unternehmer heute schon derartige Ziele verfolgen würden, ist fraglich. Wer es jedoch wagen würde, trifft Vorkehrungen für die Zukunft und kann sich auf dem Wege zur Problemlösungsgesellschaft Wettbewerbsvorteile sichern. Und wer es wagen möchte, dem wird das Leitbild "Städte des Wissens als Stätten der Begegnung" angeboten (12).
Das Leitbild Städte des Wissens als Stätten der Begegnung | |
Urbanes Leben | Das Vorbild für die Wissensstadt ist die historisch gewachsene
Stadt. Sie repräsentiert in ihrer Anlage und Gestaltung auch die Intentionen
und Ansprüche ihrer Erbauer. Ihr Erscheinungsbild demonstriert Herrschaft
und Repräsentation, ist Ausdruck von Kultur und sozialen Milieus, vermittelt
urbanes Leben und Stimmungen der Geschäftigkeit und des
Müßiggangs. Sie lebt von und mit ihren Bewohnern. Sie lädt
zu Besuchen ein. Kurz: Eine Stadt drückt das Lebensgefühl ihrer
Bewohner aus - sie repräsentiert sich als Kontext (3). Bilder
zeitgenössischer Künstler legen davon Zeugnis ab.
Eine Utopie? Eine Notwendigkeit?
Etwas völlig Neues wagen | |
Auf dem Wege zur Problemlö- sungsgesellschaft | Die reichen, entwickelten Industriegesellschaften müssen etwas
völlig Neues wagen. Sie müssen "ihre Zukunft neu erfinden". Darin
liegt zugleich eine Chance für die globale Gemeinschaft (8):
Ziel muß sein, die "Produktivität des Geistes" zu fördern. Die Gesellschaft muß den "Wandel wollen"! Dann kann sie im internationalen Wettbewerb ihre komparativen Vorteile sichern und sich ihren wirtschaftlichen Wohlstand bewahren.
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Das
Problem- lösungs- geschäft | Es geht um die verstärkte Erschließung der
Problemlösungsgeschäfte. Die Bedarfs-, Applikations- und
Innovationsfelder sind bekannt:
ressourcenschonende Produkte und Recycling, Energieersparnis, umweltschonender Verkehr, sozialverträgliche Arbeit und Automation, gesundes Bauen und Wohnen, Gesundheitsvorsorge, Sicherheit für den Bürger, komfortable Kommunikation, schlanke Organisation und gesicherte Information, sinnvermittelnde Bildung und Kultur, mußevolle Freizeit Die Erschließung neuer Märkte erfordert Aufklärung und Informationstransfer, in die viele Verantwortliche und Beteiligte und auch die Bevölkerung einzubeziehen ist. Es muß bewußt gemacht werden, daß in der derzeitigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konstellation Lösungen zu den innovativen Herausforderungen der Zukunft in erweiterten und neuen Kontexten erarbeitet werden müssen. Technisches Equipment wäre für äußerst anspruchsvolle Applikationen vorhanden. Es läßt kaum Wünsche offen und wird eindrucksvoll in "Themenparks" und "Futur-Städten" für Präsentationen genutzt. Das materiell Erfahrbare aus Natur und Technik läßt sich anschaulich darstellen. Der Einsatzzweck ist die Unterhaltung. Über Datenautobahn läßt sich sogar die Telepräsenz realisieren. Und dann? Was fehlt, sind zukunftsweisende Inhalte zum Wandel der Gesellschaft. Was fehlt sind Methoden, um auch komplexe Sachverhalte und Wirkzusammenhänge ideeller und immaterieller Art zu veranschaulichen. Mehr noch, es fehlt an Bewußtsein, daß für den Wandel der Industriegesellschaft neue Wege beschritten werden müssen! Denn es sind äußerst komplexe Sachverhalte durchzuarbeiten und höchst komplexe Wirkzusammenhänge zu meistern. Das übliche Repertoire an Methoden zur Erschließung, Aufbereitung und Vermittlung von Wissen reicht dazu nicht aus.
XENIA, Wissensstadt am Wege zur Informationsgesellschaft | |
Annäherung und Sichten | XENIA, die Wissensstadt am Wege zur Informationsgesellschaft lädt
zu einem Besuch ein. Der Prospekt "Städte erleben und Wissen gewinnen"
bietet erste Hinweise. Und wer sich auf den Besuch vorbereiten möchte,
kann vorab den Stadt- und Reiseführer studieren. In einem Bildband findet
er Ansichten, die er möglicherweise zunächst nicht erwartet
hätte. Beim Blättern entdeckt der Besucher künstlerische
Darstellungen aus allen Epochen der Kultur, gemischt mit Stadtansichten,
Fassaden und Darstellungen von Innenräumen. Die Abbildungen werden als
Fotografien, Zeichnungen und Computeranimationen präsentiert. Die Bilder
zeigen auch, wie Menschen einander auf Straßen und Plätzen, in
Räumen und bei sonstigen Gelegenheiten begegnen. Der Betrachter erlebt
Urbanität, spürt vielleicht die Wiederbelebung der Polis. Einleitend
werden drei Darstellungen kommentiert:
Und das ist die Herausforderung, die mit den drei Bildern signalisiert wird: Es muß versucht werden, komplexe Sachverhalte und Wirkzusammenhänge auch immaterieller Art zu veranschaulichen und mit ästhetischen Vorstellungen zu verdeutlichen. Es müssen Stätten der Begegnung geschaffen werden, in denen urbane Kultur erlebt und gepflegt werden kann. Es mu Wissen in Szene gesetzt werden wie in einem Theater.
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Verständigung und Verständnis | Schon bei den archaischen Gesellschaften wurden komplexe Sachverhalte
über Kunstwerke vermittelt. Sie repräsentierten den Kanon (1).
Die Sprache war bilderreich. Ihre Wurzeln lagen im Schauen der erlebbaren
Welt, die Ursprünge der Schrift waren Bilder.
Die Weiterentwicklung von Sprache und Schrift in der Antike führte zwar zu Abstraktionen, verzichtete jedoch nicht auf das Bildhafte. Die im hohen Ansehen stehende Gedächtniskunst der Rhetorik nutzte die einprägbaren Raumstrukturen eines Gebäudes, um sich der Argumentationskette einer Rede zu erinnern. Die unmittelbare Begegnung auf dem Forum prägte den Diskurs. Es wurden regelrecht Frage-Antwort-Spiele zelebriert. Im Theater wurde Wissen über höchst komplexe Sachverhalte, auch abstrakter Art, mit Sprachbildern in Szene gesetzt: Stücke, die heute noch zu begeistern vermögen. Diese Traditionen wurden in vielen Bereichen bis auf den heutigen Tag fortgeschrieben. | |
Das Bildhafte ist verblaßt | Parallel dazu, insbesondere mit der Verbreitung des Buchdrucks,
entwickelte sich eine Sprache mit immer abstrakteren Formen. Während
die Kunst und die Technik das Bildhafte beibehalten, gepflegt und
weiterentwickelt haben, ist es in den Sozial- und Geisteswissenschaften
verblaßt und teilweise ganz verschwunden (diese Abhandlung muß
sich allein aus drucktechnischen Gründen mit der Sprache begnügen).
Ein wissenschaftlicher Diskurs zwischen Spezialisten, auch über brennende, allgemein interessierende gesellschaftliche Probleme, ist von Dritten, damit auch anderen Spezialisten, kaum noch zu verstehen: wegen der Sprache, aber auch wegen der Komplexität der Sachverhalte.
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Rückbesinnung auf altes Kulturgut | In einem Buch von Guy Kirsch "neue politische Ökonomie" (4)
findet sich eine bemerkenswerte Einleitung:"Seit es die Polis, also das
organisierte Gemeinwesen gibt, ist die Politik ein Gegenstand der gedanklichen
Auseinandersetzung. Diese Reflexion war anfangs eingebettet, gleichsam
verkörpert in den magischen Praktiken der Gemeinschaft, in den Riten
und Mythen der Religion, in den Traditionen und Legenden des Brauchtums.
Sie war eingemeißelt in die Gesetzestafeln des Hammurabi und des Moses. Sie fand ihren Ausdruck in den Sinnsprüchen der Propheten. Allmählich verselbständigte sich die Reflexion: Sie wurde ihrer selbst gewahr. So stehen Plato und Aristoteles für ein Nachdenken über die Politik, das über die logische Verkettung von Argument und Gegenargument im Kopf des einzelnen und durch den Austausch von Rede und Widerrede zwischen den Menschen stattfindet. In dem Maße, wie sich Nachdenken und Erkenntnissuche in einzelne wissenschaftliche Disziplinen ausdifferenzierten, befaßten sich immer neue Wissenschaften mit dem Phänomen der Politik. Nach der Philosophie, der Theologie, der Rechtswissenschaft und der Geschichtsschreibung machten sich die Soziologie, die Psychologie, die Psychoanalyse, die Ethnologie, die Anthropologie, die Sozialpsychologie, die Linguistik u.a. daran, die Politik bzw. einzelne ihrer Erscheinungen zu untersuchen." "Seit einigen Jahren befaßt sich nun auch die Wirtschaftswissenschaft mit dem Phänomen der Politik. Sie steht damit in einer Jahrhunderte, nein Jahrtausende alten Reihe von Disziplinen, die bemerkenswerte Erkenntnisse und Einblicke erarbeitet haben und auch heute noch nicht unfruchtbar geworden sind."
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Multimedia: bildhafte Sprache und die Sprache der Bilder selbst | Im Zeitalter von Multimedia stehen der Gesellschaft (wieder) beide
Formen der Kommunikation zur Verfügung: die bildhafte Sprache und die
Sprache der Bilder selbst. Mit einer Stadt des Wissens muß wieder eine
Integration versucht werden. Mehr noch, es muß Begegnung zwischen Menschen
organisiert werden, die sich in der Auseinandersetzung um eine
verständliche Sprache bemühen.
Es lohnt also eine Rückbesinnung auf altes Kulturgut der archaischen Gesellschaften, der Antike, der Kirchenkunst, der Renaissance und wo immer sich Anregungen finden lassen. Es bietet sich an, die modernen Ausdrucksformen der "Medienkunst" und "Medienarchitektur" (5) mit den Formen- und Bildsprachen der alten Kulturen zu kombinieren.
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Bei der Vergangenheit in die Schule gehen | Ägyptische Tempel waren an Wänden, Decken,
Fußböden und an allen archi?tektonischen Ausprägungen reich
mit Bildern ausgeschmückt. Sie vermittelten, was Rechte und Pflichten
jedes einzelnen waren bei der Bestellung der Felder, der Pflege der Planzen
und der Ernte der Früchte im Zyklus der Jahreszeiten in Abhängigkeit
von den Überschwemmungen des Nils.
Im altchinesischen Kulturkreis gibt das Buch der Wandlungen, das I Ging, Auskunft zu vielen Lebenslagen. Das Buch repräsentiert eine nach einem binären Zeichensystem geordnete Wissensbank, die befragt werden konnte. Die dadurch mögliche Orientierung in komplexen Wissensbeständen und die mit dem Orakel verbundene Wissensnavigation verdienen Interesse. Die Gedächtniskunst der Griechen hat in der Renaissance Camillos Gedächtnistheater inspiriert (15). Camillo organisierte eine einprägsame Gedächtnisordnung, indem er sich ein Amphitheater vorstellte. Das Wissen, repräsentiert durch Bilder und Kommentare, ordnete er unter Rückgriff auf die kulturellen Vorstellungen der Antike und seiner Zeit nach Sektoren auf den Rängen an, und er versetzte sich selbst auf die Bühne. Die Wissensordnung vor Augen war er fähig, fundierte Auskünfte zu erteilen, Diskussionen zu führen und auch viel beächtete Vorträge zu den Themen der Zeit zu halten. Er hat das Gedächtnistheater als Miniatur in Holz gebaut: ein Hypersystem! Die Vorbilder vermitteln vielfältige Anregungen zur Anlage und Gestaltung einer Wissensstadt. Es sind wieder die Elemente der Veranschaulichung und Inszenierung, die in einer Wissensordnung Orientierung bieten und gekonnte Navigationen ermöglichen, um über höchst komplexe Sachverhalte und Wirkzusammenhänge auch immaterieller Art zu informieren.
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Zukunft gestalten: fundamentale Inno- vationen wagen | Der potentielle Interessent sei nochmals eingeladen, XENIA, die
Wissensstadt am Wege zur Informationsgesellschaft, zu besuchen. Dort
müßte er beispielsweise die Illustrationen zu dieser Abhandlung
finden. Dort werden die Möglichkeiten des Multimedia demonstriert und
es werden "Medienfassaden" und "Medienarchitektur" genutzt, um höchst
komplexe Sachverhalte, auch immaterieller Art, zu veranschaulichen. Es wird
der Betrieb der Datenautobahnen erläutert.
Dort sollten aber auch nicht Darstellungen fehlen, wie die Problemlösungsgeschäfte der Zukunft zu gestalten sind und wie sich Wandel in der Gesellschaft bewirken läßt. Dort würde der Besucher auf der Agora Gleichgesinnte finden, mit denen er sich beraten kann oder Kontrahenten, mit denen sich eine Auseinandersetzung konstruktiv gestalten läßt (13). Es geht darum, fundamentale Innovationen zu wagen. Fundamentale Innovationen sind im Vergleich zu inkrementalen Innovationen des Kleiner, Schneller, Besser und Billiger dadurch charakterisiert, daß die Applikationsvorstellungen zu Beginn noch sehr vage sind, daß die Märkte erst erschlossen werden müssen und da auch neue Technnologiekombinationen zu erproben sind. Fundamentale Innovationen setzen in einem visionären Vorfeld an und entwickeln sich in einem höchst komplexen, vernetzten Prozeß. Trotzdem läßt sich dieser Prozeß systematisch gestalten (14). Es sind sechs klar umrissene Dokumente zu erarbeiten (siehe Tabelle). Zur Unterstützung dieses Prozesses wird die Wissensstadt XENIA genutzt. Doch noch ist XENIA nicht gebaut. Die Anlage und Gestaltung der Wissensstadt XENIA ist selbst eine fundamentale Innovation. Und die Systematik für das Innovationsmanagement hat sich erst aus der gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Leitbild "Städte des Wissens als Stätten der Begegnung" ergeben. Der Architekt nutzt für seine Arbeit ein Modell, wenn er an einem Wettbewerb teilnehmen will oder einen Bauherrn zu beraten hat. Ein solches Modell soll in Gedanken näher studiert werden. (Der im Quellenverzeichnis aufgeführte Prospekt "Städte erleben und Wiussen gewinnen" enthält Abbildungen des Modells und kann angefordert werden.)
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Stadtviertel | Botschaft | Dokumente | ||||
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Weg I (im Uhrzeigersinn) | ||||||
A | Annäherung | die Betroffenen einbeziehen | Erfordernisse, Anforderungen | |||
B | Inszenierung | Wissen in Szene setzen wie in einem Theater | Leitbild-Szenario | |||
C | Kontexte | Kontextwissen als Orientierungs-, Ordnungs- und Metawissen verstärkt nutzen | Kontext Szenario | |||
D | Kontakte | Die Interferenz der Wissenskulturen fördern | Handlungs-Szenario | |||
H | Zukunft | Von der Zukunft her denken | Applikationen-Szenario | |||
Weg II (entgegen dem Uhrzeigersinn) | ||||||
E | Führung | Unternehmerische Zeichen setzen | Das unternehmerische Programm | |||
F | Methoden | Adäquate Methoden nutzen | Methodenrepertoire | |||
G | Wertschöpfung | Wissen integrieren | Portfolio für Innovationen | |||
Z | Zentrum | Das hermeneutische Dilemma beachten | Synopsis |
Unterschiedliche Denk- und Arbeitsweisen | Die Bezeichnungen der einzelnen Stadtviertel signalisieren Botschaften,
die im Kontext der Erschließung fundamentaler Innovationen zu beachten
sind, und die Stadtviertel repräsentieren zugleich wichtige Stationen,
die in dem komplexen, vernetzten Prozeß immer wieder auf beiden Wegen
anzulaufen sind. Auf diese Weise werden im Wechsel in den einzelnen Stadtvierteln
unter Nutzung spezifischer Denk- und Arbeitsmethoden die jeweiligen Dokumente
erarbeitet, die für die Erschließung fundamentaler Innovationen
gebraucht werden. Die Tabelle vermittelt einen ersten Eindruck.
Das hermeneutische Dilemma repräsentiert ein Problem. Es besagt: Das Ganze ist nur zu verstehen, wenn man die Teile versteht, und die Teile sind nur zu verstehen, wenn man das Ganze versteht! Und das gilt auch für die Anlage und Gestaltung, die Nutzung und den Betrieb einer Wissensstadt. Deshalb muß sich der Nutzer einer Wissensstadt überall in der Stadt und auch in der Umgebung umsehen; und er kann auch nicht überall gleichzeitig sein. Er muß ein gewaltiges Wissenspensum bewältigen, um sich den Kontext für fundamentale Innovationen erschließen zu können. Die Wissensstadt repräsentiert in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Erlebniswelt Kontextwissen. Es läßt sich durch die Topologie und die städtebauliche Gestaltung vermitteln. Leitsysteme in Analogie zu Verkehrssystemen dienen der Gedankenführung. Auf Fassaden, baulichen Ensembles werden Wissenszusammenhänge dargestellt. Der Besucher erkennt, wo er was findet. Letzlich muß er Originaldokumente studieren bzw. auch selbst erstellen. Der Reiz der auf vielfältige Weise repräsentierten Angebote liegt darin, daß der Besucher auch Wissensobjekte findet, die er ursprünglich gar nicht gesucht hat, aber im Kontext seiner Überlegungen gut gebrauchen kann.
Aufbruch zum Kontinent der LösungenDie Frage, was einen Besucher in XENIA am meisten beeindruckt hat/hätte, wird/würde jeder etwas anders beantworten. Auf die Frage, ob er hinsichtlich der Notwendigkeit der Veranschaulichung des Immateriellen etwas Besonderes entdeckt habe, werden möglicherweise eine Reihe von Besuchern den gleichen Kandidaten nennen. Solange XENIA noch in den Anfängen steckt und eher großen Baustelle gleicht und nur einige wenige Ausstellungspavillons besucht werden können, ist die Auswahl natürlich noch nicht groß.Aber auch in weiteren Ausbaustufen dürfte die Illustration "Aufbruch zum Kontinent der Lösungen" sicher zu den Kandidaten gehören. Sie ist einer kinderbuchartigen Darstellungsweise nachempfunden.
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Kinder bauen sich ihre eigene Welt | Möglicherweise sind Kinder die ersten Gründer der
Wissensstädte, weil sie die Erwachsenen, die ihr Wissen anhäufen
und in immer sinnloseren Zusammenhängen artikulieren , nicht mehr verstehen.
Kinder bauen sich ihre eigene Welt. Sie besitzen noch die Phantasie dazu,
die den Erwachsenen mit Ausnahme der Künstler mehr und mehr abgeht.
Kinder werden ganze Wissenslandschaften mit vielen Städten entwerfen,
in denen die Visionen zur Zukunft wachsen und gedeihen können.
Zwar rufen Wirtschaft und Politik nach Visionen, aber die Verantwortlichen sind im harten Tagesgeschäft und im Alltag der Politik nicht in der Lage, Visionen zu erkennen und zu erleben und auszugestalten, geschweige denn eigene zu entwickeln. Das muß sich ändern (10) und das wird sich mit Hilfe der Wissensstädte auch ändern lassen (11).
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Die kreativen Kräfte müssen nur geweckt werden | Denn jeder Mensch ist kreativ bis ins hohe Alter hinein. Die kreativen
Kräfte müssen nur geweckt werden (Beuys). Es werden, bedingt durch
die großen globalen Herausforderungen der Welt, Wissensstädte
entstehen müssen, um die Information zur Bewältigung von
Komplexität überhaupt noch beherrschen zu können. Und die
notwendige Phantasie läßt sich durchaus mit Systematik mobilisieren.
Kinder sind große Entdecker der Realität. Sie sehen auf einer Zeichnung eines komplexen Sachverhaltes Einzelheiten und Zusammenhänge, die ein Erwachsener zunächst gar nicht wahrnimmt. Erst die Fragen des Kindes lassen ihn gewahr werden, was man auf einer "kindlichen Zeichnung" oder einer Zeichnung für Kinder alles sehen und im Geiste erleben kann. Mit Hilfe einer solchen Kinderbuch-Illustration soll der Besucher in die Wissenslandschaften geführt - wenn es sein muß, vielleicht sogar entführt werden. Die Illustration "Aufbruch zum Kontinent der Lösungen erzählt dem aufmerksamen Betrachter eine Geschichte. Die Geschichte von der aktiven Zukunftsgestaltung und was die Verantwortlichen tun können, um den Kontinent der Lösungen zu erreichen. Wer die Illustration gesehen hat, wird sie nicht vergessen. Eindrücke sind kaum in Worte zu fassen und Dritten schwer zu vermitteln, laden vielleicht aber doch ein, den Aufbruch schon zu wagen, zumindest einen Besuch in XENIA einzuplanen. "Im Meer der Wissensexpansion mit seinen riffartigen Bedrohungen und gewaltigen Informationsfluten steuern die Kapitäne mit den Schiffen der Problemlösungen einen falschen Kurs. Bei den unausweichlichen Havarien retten sich einige mit dem Rettungsboot "lean" und kehren nach Babylon zurück. Und Babylon produziert Probleme in allen Richtungen, und die Problemwolken reagieren mit zunehmendem Blitz und Donner, Unwettern, Erdrutschen und vielfältigen anderen Bedrohungen. Ein tückischer Kreislauf, der unterbrochen werden muß. Warnend schwebt der Ballon mit der Botschaft "ein Volk ohne Vision geht zugrunde" über dem Geschehen. MERKUR ruft den einen Vernünftigen. Spätestens nach der nächsten Havarie - am besten schon vorher - sollten die Beteiligten auch das Rettungsboot "keen" nutzen, um zu den in der Zukunft gelegenen Inseln der Hoffnungen und Bedürfnisse gelangen zu können. Dort werden sie weitere Rettungshilfen finden: den Aufklärer, den Zeppelin zur Zukunft, alles Hilfen, um den Kontinent der Lösungen zu entdecken. Er liegt verborgen hinter der Inselkette der wahren Bedürfnisse. Wenigstens einer muß bis dorthin gelangen, um von dort Orientierungssignale aussenden und die neuesten Erkenntnisse aus der Zukunft in die Gegenwart transponieren zu können. Es muß Orientierung gewonnen werden, um den richtigen Kurs zu steuern. Die aus der Zukunft erlangbaren, "über den Wolken" produzierten und transferierten Lösungsansätze können in die Wissensstadt gelangen, zu Lösungen aufbereitet und vermittelt werden. Diese Städte des Wissens müssen die Schiffe der Problemlösungen anlaufen, um eine zukunftsorientierte Ladung zu löschen, und mit neuartigen Orientierungen versehen, einen sicheren Kurs zu steuern. Es sind viele weiche Signale zu beachten!" Kinder werden nicht zögern zu fragen, was sich hinter den Nummern auf der Illustration vom Kontinent der Lösungen verbirgt, sich möglicherweise erkundigen, ob es sich um einen Adventskalender handelt.
Perspektiven für die Zukunft | |
20 Jahre voraus | Um das Jahr 2015 herum wird es kein exotisch anmutendes Vorhaben
sein, eine Wissensstadt aufzusuchen und sich dort mit Gleichgesinnten zur
Durcharbeit einer komplexen Problem- und Aufgabenstellung zu treffen. Große
Organisationen und Institutionen, vor allem auch europäische Kommunen,
haben sich in dem innovativen Geschäftsbereich der "Städte des
Wissens als Stätten der Begegnung" engagiert.
Als Stätten der Begegnung ausgerüstet, treffen sich in den Wissensstädten, wo auch Kongresse abgehalten werden, nicht nur Experten und Spezialisten, sondern auch interessierte Bürger, die sich in Problemlösungsinitiativen engagieren, Schulklassen und Universitätsseminare, die an Projekten arbeiten, und auch Familien, die eine neue Art des Bildungstourismus nutzen (Knowledge Tours). Bei der praktischen Arbeit haben die Verantwortlichen und Beteiligten an Innovationen daher auch immer sogleich die Möglichkeit, Betroffene und Laien in ihre Arbeit einzubeziehen. Auß:erdem gibt es in den Kommunen Begegnungsstätten, die ebenfalls an das Netzwerk der Wissensstädte angeschlossen sind. Sie werden von den Bürgern gerne aufgesucht, wenn es um Erledigungen des Alltags geht - die persönliche Beratung vor Ort wird nach wie vor geschätzt - oder wenn sie sich als Gruppe auf den Besuch einer Wissensstadt vorbereiten wollen. Auch Kaufhäuser und Geschäfte sind an das Netzwerk der Wissensstädte angeschlossen. Last not least: Jeder kann mit Hilfe im eigenen Hause installierter, kleinerer Informationsanlagen sich direkt am Netzwerk der Wissensstädte beteiligen.
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Wissensstädte besucht man und spricht darüber | Über Datenautobahnen spricht man nicht, man benutzt sie. Das
ist selbstverständlich. Wissensstädte besucht man und spricht
darüber. Es ist das Erscheinungsbild und die Erlebniswelt der
Wissensstädte, das die Besucher immer wieder anzieht. So wie in einer
echten Stadt Neues erkundet und Ungewöhnliches erlebt werden kann, das
dann zu einem regen Gedankenaustausch der Beteiligten führt, gibt es
auch in einer Wissensstadt immer wieder etwas Neues zu erkunden und Neuartiges
zu erleben.
Es ist vor allem gelungen, das Interesse der Bürger für die Herausforderungen der Zukunft zu wecken und damit auch für das Gemeinwohl zu mobilisieren. Die Herausforderung des lebenslangen Lernens ist angenommen worden. Durch tätige Mitarbeit in den Wissensstädten können sich die Bürger qualifizieren. Daß man in den Wissensstädten auch viel Wissenswertes für den Alltag des privaten Lebensbereichs erfährt und lernt, ist eine angenehme Beigabe.
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Begegnung
der Wissenskulturen | In den Städten des Wissens sind nicht nur die großen
Organisationen und Institutionen vertreten, die sich in den
Problemlösungsgeschäften engagieren, sondern auch Repräsentanten
aus allen Wissenskulturen. Es ist erkannt worden, daß vor allem durch
die Begegnung unterschiedlicher Wissenskulturen, die sogenannte Interferenz
der Wissenskulturen, die Innovationen maßgeblich aktiviert und
gefördert werden (2). Und so ist es nicht verwunderlich, wenn eine Gruppe,
die mit einem ökonomisch-technologischen Problem beschäftigt ist,
in ihrer Wissensstadt auch Örtlichkeiten aufsucht, die unmittelbar mit
dem Thema gar nicht in Beziehung zu stehen scheinen. Dazu gehören Geschichte
und Utopien, Mythen und Märchen (7), die schönen Künste,
Reflexionen und Weisheiten und auch immer wieder die Auseinandersetzungen
mit den Problemen des Alltags in aller Welt, wenn es sein muß, auch
unmittelbar in den Problem Slums.
Durch die Begegnung der Wissenskulturen ist es gelungen, das Leitbild "Städte des Wissens als Stätten der Begegnung" zu prägen, bewußt zu machen und zu verbreiten. Eine Wissensstadt repräsentiert - wie in alten Zeiten - das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft (9). Ergänzend zu den großen thematischen Wissensstädten des Problemlösungsgeschäfts gibt es spezialisierte Wissensstädte, meist von Organisationen und Institutionen betrieben, die sich auf einzelne Themen und Methoden, Forschungen und technische Lösungen spezialisiert haben. Sie treten meist als Zulieferanten auf.
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Das Netzwerk | Die Wissensstädte bilden ein Netzwerk: nicht nur, weil sie
technisch miteinänder vernetzt sind, sondern weil sie untereinander
einen Handel mit Wissen und Information vom Rohstoff bis hin zu Halb- und
Fertigfabrikaten mit immateriellen Waren betreiben. Es ist bewußt geworden,
daß die Probleme zur Jahrtausendwende - so sarkastisch es klingen mag
- die Geschäftsmöglichkeiten für das 21. Jahrhundert bieten:
Problemlösungsgeschäfte! Allerdings mußte auch die Einsicht
Platz greifen, daß es notwendig ist, gesellschaftlich richtig zu rechnen.
Zu den großen Problem- und Aufgabenstellungen der globalen Gemeinschaft sind Wissensstädte in verschiedenen Teilen Europas angelegt und gestaltet worden. Mit den Wissensstädten ist es gelungen, die informationale Wertschöpfung zu operationalisieren und zu steigern. Zu viel besuchten Wissensstädten zählen beispielsweise:
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Realisierungs- perspektiven für einen Durchbruch | Ein erster Durchbruch in der anskizzierten Richtung ist
anläßlich der Weltausstellung in Hannover im Jahre 2000 gelungen.
Für diese Weltausstellung haben sich eine Reihe europäischer
Initiativen und große Organisationen und Institutionen zusammengefunden,
um gemeinsam zu demonstrieren, was sie sich vorstellen können, um die
großen, globalen Problem- und Aufgabenstellungen zu lösen.
Entscheidend war, daß sie ihre thematischen Lösungsvorstellungen
in neuen Formen der Kommunikation entwickelt und präsentiert haben und
daß es ihnen gelungen ist, adäquate Kommunikationsarchitekturen
zu entwickeln und auf der Weltausstellung zu präsentieren. Es konnte
besichtigt und erprobt werden, was die Zukunft zu bieten hat:
Es wurden Beispiele für Applikationen und vor allem die dafür geeigneten Kommunikationsarchitekturen gezeigt, die dem Besucher einer Wissensstadt im Jahr 2015 selbstverständlich erscheinen, damals aber beträchliches Aufsehen erregten. Dazu gehörten beispielsweise der Permanante Informationenmarkt mit der Regulation der Wissensbestände, das Inszenarium, wo Wissen in Szene gesetzt wird, die Wagnis-Ideen-Zentren, wo Wagnis-Kapital und Wagnis-Ideen zueinander finden, und die Infonautik in der Kontextsynopsis.
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Der Schlüssel zum Erfolg | Die Verbesserung der informationalen Wertschöpfung, insbesondere
im Hinblick auf den Umgang mit Komplexität, wurde durch die Kombination
mehrerer Maßnahmenkomplexe im Rahmen des Leitbildes von den Städten
des Wissens als Stätten der Begegnung erreicht:
Der Schlüssel zum Erfolg lag wohl in erster Linie in der Intensivierung der menschlichen Kommunikation auf vielen Ebenen. Die technische Vernetzung und die technischen Möglichkeiten der Repräsentation hatten lediglich eine unterstützende Funktion.
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Europäisches Engagement | Es bedurfte eines langen unternehmerischen Atems, um derartigen
Applikationen, deren Nutzungspotential sich erst im Zuge der praktischen
Anwendung erschloß, den Weg zu bahnen. Nicht zuletzt hat ein
großzügiges Engagement des europäischen Förderungsprogramms
im Rahmen einer weitsichtigen Industrie- und Forschungspolitik geholfen,
allen Beteiligten immer wieder Mut zu machen.
Eine Utopie? Oder eine europäische Initiative?
Quellen und weiterführende Materialien:
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Beitrag
in: Claudia von Grote, Sabine Helmers, Ute Hoffmann & Jeanette Hofmann
(Hrsg.): Kommunikationsnetze der Zukunft - Leitbilder und Praxis. Dokumentation
einer Konferenz am 3. Juni 1994 im WZB
[Artikel und Ausätze]